Empfehlungen Mai/Juni 2009
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Ein wunderbares KindheitsmärchenVitus. - Regie: Fredi M. Murer. Mit Bruno Ganz und Teo Gheorghiu. - 2006. - 1 DVD, 122 Min. Vitus ist ein ganz besonderer Junge: schon mit fünf Jahren spielt er Schumanns „Wilden Reiter“ auf dem Klavier und liest im Kindergarten lieber ein Universallexikon als mit den anderen Kindern zu spielen. Dies weckt den Ehrgeiz der Eltern, deren Wunsch es ist, dass Vitus Pianist wird. Doch dank seines etwas eigenwilligen Opas, der Vitus auch die Welt außerhalb der Musik zeigt und in ihm die Begeisterung fürs Fliegen weckt, entschließt sich Vitus zu einem dramatischen Schritt und nimmt sein Leben selbst in die Hand. Murer ist mit Vitus ein wunderbares Märchen über das Großwerden eines Jungen und dessen Weg zu einem selbstbestimmten Leben gelungen. Neben einem stimmig spielenden Bruno Ganz, der den kauzigen Opa mimt, überzeugt vor allem Teo Gheorhiu, der übrigens alle Musikstücke auch selbst spielt, in seiner ersten Filmrolle. In der Musikbibliothek kann der Soundtrack zum Film ausgeliehen werden. Barabara Münz |
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Alltag im Iran zwischen dem Schah und Ayatollah ChomeiniKhader Abdollah: Das Haus an der Moschee. - List, 2008. - 396 S. Das Zeitfenster: der Übergang von der Schahregierung zur „theokratischen“ Herrschaft Ayatollah Chomeinis im Iran. Die historischen Fakten sind bekannt: Der Schah Mohammad Reza Pahlavi versucht mit massiver Unterstützung der USA, den Iran zu einer wirtschaftlichen und militärischen Großmacht im Nahen Osten auszubauen. Die Islamische Revolution im Jahr 1979 führt nach 38 Regierungsjahren zur Flucht des Schahs und zur Rückkehr Chomeinis aus dem französischen Exil mit dem Anspruch, einen „Gottesstaat“, die „Islamische Republik“, unter seiner Führung zu errichten. Am Ende werden selbst die ehemaligen Unterstützer und Stillhaltenden unbarmherzig verfolgt, gedemütigt und hingerichtet: Kommunisten, Mudschahidin, Gemäßigte. Der seit 1988 in den Niederlanden lebende iranische Exilautor Abdollah bleibt nahe an der Historie und vermittelt einen authentischen und schmerzlichen Einblick in das Leben der Menschen seines Landes in einer Zeit voller Gewalt, Angst, Misstrauen und Verrat. Die Bewohner des Hauses mit den 35 Zimmern in der persischen Provinzstadt Senedjan sterben nach und nach oder verlassen es. Das so lebendig und humorvoll geschilderte Zusammenleben der heterogenen Gemeinschaft ist bedroht und wird beklemmend, als die Macht der fanatischen Schiiten und Ayatollas wie nasskalter Nebel tief in die Familien eindringt und sie schleichend zerstört. Agha Djan, der Herr des Hauses, bleibt sich selbst treu, macht aber vor den tief greifenden Veränderungen in seinem Land, in dem Denunzianten und Hassprediger die Macht übernommen haben, lieber die Augen zu. Erst als er für seinen ermordeten Sohn kein Grab findet, wird auch dieser Aufrechte ein gebrochener und gebeugter Mann. Die Bewohner des Hauses haben sich selbst verloren. Es gibt Menschen, die sich aus dem Leben geschlichen haben, schiitische Fanatiker, Gemäßigte, Kommunisten, Wendehälse und auch Geradlinige. Sie stehen exemplarisch für die unfassbaren menschlichen Tragödien im Iran zu dieser Zeit. Am Ende gibt es noch ein wenig Hoffnung. Agha Djan findet das Grab seines hingerichteten Sohnes und den verloren geglaubten Imam der Moschee - lebend. Tanja Schleyerbach |
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Skurril-komisch-detailgetreues Independent-KinoJunebug – Junikäfer. - Regie: Phil Morrison, 2005. - 1 DVD, 102 Min. Phil Morrison zeichnet in Junebug präzise und vielschichtig das messerscharfe und unbarmherzige Portrait einer kleinbürgerlichen, bigotten und sehr durchschnittlichen amerikanischen Familie in der Provinz, mit der die in der Großstadt verwurzelte Galeristin Madeleine bei einem Abstecher zu der Vorstellung bei der Familie ihres frisch verheirateten Mannes George konfrontiert wird. Mit ihrem Mann auf Geschäftsreise, um einen exzentrischen Maler für ihr Kunsthaus zu gewinnen, platzt sie in das Familienleben der Johnstons, das sie mit wachen und durchaus wohlwollenden Blicken zu verstehen versucht. Herzlich aufgenommen wird sie dabei lediglich von ihrer überdrehten und hochschwangeren Schwägerin Ashley, die sich ihr auf eine einfältige, unterwürfig-demütigende Weise anbiedert, was sie bei ihrem Mann ebenfalls praktiziert und bei emanzipierten Menschen durchaus Aggressionen auszulösen vermag. Verwundert, aber interessiert lernt Madeleine eine neue Seite ihres Mannes kennen, als dieser vom dortigen Pfarrer einer charismatischen Gemeinde zu einem religiösen Liedvortrag genötigt wird, dem er sich nicht entziehen will. Während Georges Vater Eugene ihr neutral-akzeptierend gegenübersteht, wird er von seiner eifersüchtigen Frau Peg gegen sie aufgehetzt, denn diese scheint die Fremdheit der Chicagoerin als bedrohlich für das Familiengleichgewicht zu empfinden. Georges Bruder Johnny hingegen steckt voller Aggressionen und Verachtung, nicht nur seiner hysterischen Frau gegenüber. Als diese am Ende ihr Kind, das Junebug heißen soll, verliert und Madeleine sich dem Familienzusammenhalt zugunsten eines Termins mit dem Künstler entzieht, droht die Situation zu kippen. Ihr Mann ist Ashley sehr nahe, während deren eigener Mann mit Abwesenheit glänzt. George schafft den Absprung: „Ich bin heilfroh, dass wir hier raus sind“ lautet sein lakonisches Fazit auf der Rückreise mit Madeleine. Morrisons Leinwanddebüt ist dichtes, stellenweise skurril-komisches und detailgetreues Independentkino, fernab von stereotypen Charakterzeichnungen. Tanja Schleyerbach |
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Einblick in den Alltag von PolizistinnenDie Angst ist dein größter Feind. - Hrsg.: Volker Uhl. - Piper, 2008. - 249 S. Als „normaler Bürger“ kommt man mit Polizistinnen höchstens im Straßenverkehr in Kontakt oder man kennt ihre Arbeit aus dem Fernsehen. Aber wie sieht die Wirklichkeit dieses Berufes tatsächlich aus? Im vorliegenden Buch berichten Streifenpolizistinnen und Kriminalkommissarinnen von ihrem Arbeitsalltag: von dem Selbstmörder, der nach dem Gespräch mit der Polizistin von der Brücke springt, von dem polizeibekannten Ehemann, der seine Frau selbst am Heiligen Abend krankenhausreif schlägt, von dem Kollegen, der bei einer Fahrzeugkontrolle tödlich verletzt wird oder von der ausgebrannten Wohnung, in der nach einem Familiendrama drei verkohlte Leichen gefunden werden. Aber auch die Auswirkungen des Berufs auf das Privatleben werden beschrieben: wenn man in der Kneipe vollgequatscht wird, sobald die Leute den Beruf erfahren, wie kompliziert es ist, eine funktionierende Beziehung bei ständigem Schichtdienst zu führen oder wie schwierig ein unbeschwerter Besuch im Freibad ist, wenn man unbewusst ständig Ausschau nach Pädophilen hält. Die Frauen schreiben von den Idealen, die sie zu Beginn ihrer Ausbildung hatten, von der Frustration, wenn man das Gefühl hat, nichts bewirken zu können, aber auch von den schönen Momenten, wenn man jemandem helfen konnte. Ein lesenwertes Buch, das einen Bereich unserer Gesellschaft zeigt, zu dem man normalerweise nur wenig Zugang hat. Renate Goldbrunner |