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„Schreibs, wie mrs schprichd! On des han i no auch so gmachd.“
Metzger, Klaus: ‘s Bläddle: Erlebnisse eines schwäbischen Reporters. - Silberburg-Verl., 2011. - 140 S. Otto Sebastian Weiler – oder besser gesagt: Oddo Sebaschdian Weiler – ist ein junger Sportreporter beim Bläddle in Stuttgart. Damals, in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts war dies eine lokale Zeitung, die auch im Tagblattturm residierte. Otto Sebastian Weiler berichtet in vielen Episoden aus längst vergangenen Tagen des Zeitungsmachens, als man im Tagblattturm nicht nur noch Paternoster fuhr und als Zeitungsmacher generell „schwarze Fenger“ hatten, in der Kantine vehement über Gott und die Welt diskutierten, die Schreibmaschinen heiß liefen, als es noch Korrektoren und Druckplatten gab. Unterhaltsam, witzig, oft nachdenklich und hintergründig. Es geht nicht nur um Anekdoten rund ums Zeitungsmachen, sondern auch um Themen wie die beginnende Rationalisierung und um Weltpolitik. Der Kalte Krieg wirft seine Schatten bis in die Schwäbische Provinz. Ein junger Journalist wird fürs „Bläddle“ nach Reutlingen geschickt, um über die Deutschen Schwimmmeisterschaften im Freibad Markwasen zu berichten. Doch dieser Tag, der dreizehnde Auguschd neizehhonderdoisaachzig, der Tag des Mauerbaus in Berlin, ist der Tag, der die Welt verändern wird, der Tag, der das Leben des jungen Mannes verändern wird – nachhaltig. Der Reutlinger Autor, 1951 in Stuttgart geboren, studierte in Berlin, war Dramaturg, Produktionsleiter und Regisseur an der Schaubühne Berlin, in Bochum und bei den Salzburger Festspielen sowie Intendant am Zimmertheater in Tübingen und inszeniert ab und zu an Theatern und Opernhäusern. Das „t“ hat bei Metzgers Erzählungen wenig Chancen. Er schreibt auf schwäbisch und schriftdeutsch, liest schriftdeutsch und schwäbisch, lehrt hochdeutsch im Westfälischen – aber dieses Buch ist garantiert in aschdreinem Schwäbisch! Andrea Däuwel-Bernd Autorenlesung am Freitag, den 12. August, 20 Uhr, in der Stadtbibliothek Reutlingen, Dachterrasse |
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Fesselnde Geschichte einer jüdischen Frau in zwei Kriegen
Franck, Julia: Die Mittagsfrau. - Gelesen von der Autorin. - Der Hörverl., 2007. - 6 CDs
Deutschland 1945: Helene lässt ihren kleinen Sohn auf der Flucht irgendwo in Ostdeutschland an einem Bahnhof zurück. Wie kann eine Mutter ihr Kind alleine lassen? Julia Franck erzählt in einfachen, aber eindringlichen Worten das Leben einer Mutter während des Zweiten Weltkriegs und welche Ereignisse geschehen müssen, damit sie ihr Kind verlässt. Helene und ihre Schwester Martha verbringen ihre Kindheit in der Lausitz. Die Mutter ist Jüdin und immer etwas verwirrt. Sie verliert den Bezug zur Realität, als ihr Ehemann als Soldat am Ersten Weltkrieg teilnimmt. Er verliert beide Beine und stirbt, obwohl Martha ihn liebevoll pflegt. Beide Schwestern gehen Anfang der 20iger Jahre nach Berlin, um bei einer Verwandten zu leben. Helene verliebt sich in Carl. Mit poesievollen Worten spricht Julia Franck diese intensive Liebesbeziehung, die durch Carls Tod abrupt endet. Helene versucht, weiterzuleben, was ihr nur schwer gelingt. Auch diese Situation wird von der Autorin eindringlich erzählt, so dass der Hörer mitleidet. Auf einem Fest lernt Helene Wilhelm kennen, der ihr neue Papiere besorgt. Helene heiratet Wilhelm, und Sohn Peter wird geboren. Die Ehe ist jedoch unglücklich, und Helene kann ihrem Kind nicht die Zuneigung schenken, die Peter braucht. Obwohl es sehr bedrückende Stellen in diesem Hörbuch gibt, schafft es Julia Franck durch ihre Sprache und Stimme, den Zuhörer zu fesseln. Außerdem ist die Handlung von Anfang bis Ende sehr spannend. Man hört in einem Zug diese Geschichte an, weil man süchtig ist, das Ende zu erfahren. Beate Reichmann Das Buch ist ebenfalls im Medienbestand. |
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Schlafende Detektivin löst Mordfall
Strachan, Mari: Die Welt summt in b-Moll. - DuMont, 2009. - 316 S. Die 12 jährige Gwenni kann fliegen. Aber nur, wenn sie schläft. Dann fliegt sie über die Stadt und betrachtet die Welt unter ihr ganz genau. Ihre Mutter will von alldem nichts hören: „Die Leute halten dich noch für verdreht!“. Als Gwenni auf einem ihrer Flüge einen toten Mann im Taufbecken beim Stausee entdeckt, ist nichts mehr wie es war. Trotz aller elterlichen Ermahnungen und Verbote entschließt sie sich, Sergeant Jones bei der Aufklärung des Mordes zu helfen. Durch ihre Nachforschungen kommt sie nicht nur dem Mörder auf die Spur, sie lernt auch sich selbst und ihr Umfeld neu kennen. Ein stimmungsvoller Roman und eine gelungene Mischung zwischen Detektivgeschichte und Familienroman. Anni Lenz |
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Oscarpreiswürdiges Sozialdrama, das unter die Haut geht - ein Beitrag zum Weltalphabetsisierungstag am 8. September
Precious – das Leben ist kostbar. - Regie: Lee Daniels. – 2010. – 1 DVD, 105 Min.
Harlem 1987. Clarice Jones (Gabourey Sidibe) wird von ihrer Familie Precious genannt, und das ist sie – kostbar. Als sie zum zweiten Mal schwanger ist – erneut von ihrem sie seit ihrem dritten Lebensjahr immer wieder brutal vergewaltigenden Vater - muss die stark übergewichtige 16-jährige die Schule als funktionale Analphabetin verlassen. Precious‘ erstes Kind, „Mongo“, hat das Down-Syndrom und lebt bei ihrer Großmutter. Ihre arbeitslose und unausgelastete Mutter (Mo'Nique) hat kein gutes Wort für sie übrig und beschimpft und demütigt sie rund um die Uhr, lässt sich aber dennoch von ihr bekochen und verlangt, dass sie sich Sozialleistungen erschleicht anstatt zu lernen. Clarice aber widersetzt sich und nimmt an dem alternativen Lernprojekt "Each One Teach One" teil. In der Lehrerin Miss Rain findet sie eine verständnisvolle Begleiterin, die ihr eine echte Chance gibt, und Clarice kann sie für sich nutzen. Als Precious mit dem zweiten Kind aus der Klinik kommt, in der ihr ein Krankenpfleger (Lenny Kravitz) bei der Geburt einfühlsam zur Seite stand, prügelt ihre eifersüchtige und mit sich selbst überforderte Mutter erneut auf sie ein, und Clarice verlässt mit ihren beiden Kindern das Elternhaus. Auch nach einem Treffen mit ihrer Mutter unter Aufsicht einer Sozialarbeiterin (Mariah Carey) lehnt Clarice eine Rückkehr ab. Inzwischen musste sie erfahren, dass ihr Vater sie mit dem HI-Virus angesteckt hat. Sie findet aus sich selbst heraus die Kraft, sich aus dem Kreislauf von Gewalt, Inzest, Abhängigkeit und Ungebildetsein zu befreien und standhaft zu bleiben. Immer wieder flüchtet sich Precious in Tagträume, in denen sie begehrenswert und schön ist und das Leben genießen kann. Ihren ganzen Kummer trägt sie in Form ihres Gewichtes mit sich herum. Woher sie die Liebe, die sie selbst nie erfahren hat, für ihre Kinder nimmt, bleibt ihr Geheimnis. Die unfassbar tragische Geschichte entspinnt sich im Laufe des Films aus Rückblenden, Tagträumen und inneren Monologen, und sogar leise humorvolle Momente finden ihren Platz darin. Zurecht räumte der Streifen zahlreiche Filmpreise ab, darunter auch zwei von sechs Oscar-Nominierungen. Dieser Film ist starker Tobak – und er entbehrt jedweder Gefühlsduselei. Dennoch ist er nicht hoffnungslos. Precious - kostbar – ist das Leben, auch wenn von außen kein Sinn erkennbar scheint. Tanja Schleyerbach
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Farbenfrohes, sensibles afrikanisches Kino - ein Beitrag zur Interkulturellen Woche vom 25. September bis 01. Oktober
Moolaadé – Bann der Hoffnung. - Regie: Ousmane Sembène. - 1 DVD, 120 Min.
Moolaadé – das ist die Rettung für vier Mädchen im Dorf eines zentralafrikanischen Landes. Sie brechen aus der jahrhundertealten Tradition der brutalen Verstümmelung ihrer Genitalien aus und weigern sich, das alle sieben Jahre stattfindende Initiationsritual, bei dem nicht selten die Opfer verbluten und für immer seelische und körperliche Leiden zurückbleiben, an sich vollziehen zu lassen. Sie fürchten unvorstellbare Schmerzen und den Tod. Collé Ardo hat nach dem Verlust ihrer ersten Tochter bei der Beschneidung ihrer zweiten Tochter das Ritual erspart, und die Mädchen erhoffen sich Schutz bei ihr. In dem Dorf herrschen patriarchale Zustände, Frauen haben sich den männlichen Machtstrukturen klaglos unterzuordnen, vorislamische Rituale vermischen sich mit vorgeblich islamischen Lehren, Radios werden den Frauen verboten und vor der Moschee verbrannt - skurril quiemeln und dudeln sie noch eine Weile vor sich hin. Collé Ardo wird von den Dorfbewohner/-innen, besonders von den Frauen, die die Beschneidung vollziehen, mit Hass und Bitterkeit überhäuft, doch sie beruft sich auf eine ebenso alte Tradition, die Moolaadé, und errichtet in ihrem Haus gegen den Willen ihre Mannes einen Schutzraum für die vier Kinder. Bedrohlich stehen die Beschneiderinnen vor ihrem Haus, und als die Mädchen freie Wahl haben, sich beschneiden zu lassen, folgt keine den Befehlen ihrer Mutter. Jeder, der die Moolaadé missachtet, wird einen Fluch und den Tod über sich heraufbeschwören, und die Dorfbewohner fürchten sich davor. Nur Collé selbst kann sie aufheben, und sie weigert sich, dies zu tun, auch als sie von ihrem Mann dafür öffentlich bis zur Bewusstlosigkeit ausgepeitscht wird. Zu dessen Schande vor allen Männern steht die Heirat ihrer gemeinsamen Tochter Amsatou mit dem gerade aus Frankreich zurückgekehrten studierten, „reichen“ Dorfbewohner auf dem Spiel. Für die Männer des Dorfes, die oft über mehr als eine Frau verfügen, undenkbar, eine Bilakoro, eine Unbeschnittene zu heiraten, sie berufen sich auf den Koran. Bis zu 90 % der Mädchen in west- und nordostafrikanischen Ländern müssen diese menschenverachtende Praxis heute noch erleiden. Ousmane Sembène hat sich eines immer noch aktuellen Themas einfühlsam angenommen, und er hat eine hervorragende Schauspielerriege dafür engagiert. Farbenfrohes, sensibles afrikanisches Kino von seiner allerbesten Seite. Tanja Schleyerbach |
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Spannende und lebendige Erläuterung eines Stufenmodells
Küstenmacher, Marion und Werner Tiki; Haberer, Tilman: Gott 9.0. Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird. – Gütersloher Verlagshaus, 2011. – 319 S. Der Titel macht neugierig, und er wird manchen Erwartungen möglicherweise insofern nicht gerecht, als er einerseits nicht nur die spirituelle Entwicklung (Gott X.0, Jesus X.0, Glaube X.0) in den Blick nimmt, sondern auch die persönliche (Mensch X.0) und gesellschaftliche (Gesellschaft X.0), die letztlich nicht davon zu trennen sind. Andererseits geht es in weiten Teilen weniger um die Zukunft, sondern vor allem auch um Einordnung historischer Entwicklungen, was sich nicht weniger spannend ausnimmt. Das hier vorgestellte System ist eher ein Spiralmodell und beruht zum großen Teil auf der Arbeit des amerikanischen Sozialpsychologieprofessors Clare Graves aus den 50er Jahren (Theorie der zyklisch auftauchenden Existenzebenen) und von Ken Wilber, führender Entwickler der integralen Theorie und Buchautor zu den Themen Psychologie, Philosophie, Mystik und Spiritualität. Die zugehörigen Farben und das Spiral-Dynamics-Modell entwickelten in den 70er Jahren die Graves-Schüler Don Beck und Christopher Cowan. Zu dem Stufenmodell der drei evangelischen Theologen kommen Linien-Intelligenzen (der Erkenntnis, des Einfühlens, des Wollens) und Zustände mit vier Versenkungsgraden, die an Beispielen anschaulich gemacht werden. Differenziert wird dargelegt, dass man selbst sich in verschiedenen Bereichen seines Lebens gleichzeitig auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen bewegen kann: moralisch kann man auf einer vollkommen anderen Stufe stehen als emotional, sozial, intellektuell oder spirituell. Das Modell ermöglicht, seine eigenen Entwicklungsstand einzuordnen, soweit die Selbstdistanz das zulässt, und Entwicklungspotenzial herausarbeiten. Wer mag, findet dazu am Anfang des Buches einen Test. Überraschend ist die Erkenntnis, dass auf jede Ich-Stufe eine Wir-Stufe folgt, d.h., dass auf einer Stufe das Individuum im Zentrum steht, auf der nächsten die Gemeinschaft eine tragende Bedeutung erlangt. Sowohl die Entwicklung vom Säugling bis zum sterbenden Menschen wie auch vom Beginn der Menschheitsgeschichte bis zur heutigen Lebensweise wird anhand dieses Modells erläutert, und auch ein Ausblick in die Zukunft wird gewagt. Die Zukunftsschau der spirituellen Entwicklung beschränkt sich jedoch auf wenige Seiten, und alles andere wäre ohnehin unseriös. Viele Menschen befinden sich noch auf der blauen, orangenen oder grünen und sogar auf der roten Stufe, und es sind wenige, deren spirituelle Entwicklung bereits bei beige oder türkis angelangt ist. Da keine Stufe ausgelassen und über die Dauer der Entwicklung keine Aussage getroffen werden kann, ist zu erwarten, dass sich die roten, blauen, orangenen und grünen Stufen zunehmend in die jeweils nächsthöhere Stufe weiterentwickeln und insgesamt eine höhere spirituelle Bewusstheit entsteht. Dadurch ist ein vorsichtiger Blick in die nähere Zukunft zwar nicht vorhersehbar, aber vorstellbar, denn die nächsthöheren Stufen sind bereits Realität, wenn auch nur die einer Minderheit. Die modernen Informations- und Vernetzungsmöglichkeiten sieht das Autorentrio als große Chance auch für die globale spirituelle Weiterentwicklung an. Übergänge von Stufe zu Stufe sind wie bei Softwareupgrades immer mit großen Unsicherheiten verbunden und können nie exakt vorhergesagt werden, da zu viele unvorhersehbare Faktoren beeinflussend wirken. Politische und gesellschaftliche Ereignisse wie auch persönliche Einschnitte sind dabei von entscheidender Bedeutung. Was das Buch auch so lesenswert macht, ist das Einbeziehen aller Lebensbereiche und historischer Linien sowie sein Praxisbezug: zu jedem Kapitel werden ausreichend Beispiele aufgeführt, die das Verständnis erleichtern. Verblüffend grenzüberschreitend werden theologische Modelle und biblische Geschichten, Gottesbilder, aber auch philosophische und literarische Werke und Epochen, bedeutende Menschen und ihre Denkmodelle, Kunstwerke und ganze Gesellschaftsformen den jeweiligen Stufen zugeordnet. Man findet hierbei die Taliban ebenso wie mittelalterliche Mystiker. Interessant dabei ist, dass keine Stufe in der persönlichen wie auch gesellschaftlichen Entwicklung übergangen werden kann, dass alle ihre Berechtigung haben und von der jeweiligen Stufe aus eine Weiterentwicklung ebenso möglich ist wie Stillstand oder Rückfall in frühere Entwicklungsstadien. Niemand ist davor gefeit, in Extremsituationen wie Krieg, Gewalt, Hunger, Folter, Tod oder Verlust Mustern der allerfrühesten Stadien zu folgen, die dem Überleben dienen. Das Modell ist nicht auf die spirituelle Entwicklung beschränkt, und so fängt man plötzlich an, Situationen und Strukturen grün, blau, rot und gelb zuzuordnen, ohne dabei in starres Schubladendenken abzugleiten. Am Ende gibt es einen kleinen Ausblick, welche Entwicklungen die christlichen Kirchen, die vielfach noch an "blauen" Strukturen festhalten, upgraden und die Menschen für sich gewinnen könnten. Dabei wird deutlich, dass der Weg der Mystik - bereits im Mittelalter und in allen Religionen von Visionären praktiziert - die verbindende Komponente zu anderen Religionen und Konfessionen bedeuten könnte und eine einfühlsame spirituelle Begleitung durch erfahrene und reife Seelsorger Menschen heute und zukünftig auf dem inneren Weg möglicherweise dort erreicht, wo tatsächlich Hilfe für ihren Lebensalltag benötigen. Übrigens ist mit Gott 9.0 keineswegs das Ende erreicht, neue Upgrades sind bei einer spirituellen Weiterentwicklung möglich und nötig. Tanja Schleyerbach |
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