Empfehlungen August/September 2012
Zwischen Oechsle und Zäpfle
Thomas C. Breuer: Günschtig. Kuriose Reisen durch Baden-Württemberg. - Info-Verl., 2011. - 175 S. Seit 35 Jahren bereist der Kabarettist Thomas C. Breuer Baden-Württemberg, bevorzugt im Zug. Bahncard 100 – das ist günstig. Sein neu erschienenes Buch heißt auch so, nämlich „Günschtig“. Kuriose Reisen durch das Ländle hat er darin festgehalten. Baden-Württemberg zwischen Main und Bodensee, zwischen Datenautobahn und Krötenwanderung. Land und Autor feiern übrigens beide ihr 60 Lebensjahr. Mit der Zeit ist Thomas C. Breuer immer bissiger geworden, sehr zum Ergötzen seiner Zuhörer und Leser. Der 1952 in Eisenach geborene Kabarettist, der auch mit Reisebüchern bekannt wurde, lebt schon viele Jahre in Baden-Württemberg und hat Land und Leute unter die Lupe genommen. Für sein neues Buch hat er das gesamte Streckennetz Baden-Württembergs abgefahren. Dabei ist nicht nur eine Hitliste der verrücktesten Bahndurchsagen entstanden, sondern auch ein Sprachkuriositäten-Potpourri sondergleichen. Glanzlichter der rasanten rhetorischen Bahnfahrten Breuers durch die blühenden Sprachlandschaften von Baden und Württemberg sind sein "Landesgedicht aus Stadt-Land-Flussnamen" und das "Universal-Heimatlied". Dabei entfaltet sich die spezifische Breuer'sche Komik quasi aus dem Nichts, oft aus einem zunächst völlig unverdächtig daherkommenden Wort. Die Alltagssprache wird zur Besonderheit und Absonderlichkeit, sobald Breuer seinen messerscharfen kabarettistischen Blick darauf wirft. Sprachperlen des Alltags fördert er mit Akribie und Sammelwut zu Tage. Ein Buch für alle, die Baden-Württemberg lieben oder hassen und Sinn für sarkastischen Sprachwitz haben. Andrea Däuwel-Bernd Kabarettabend mit Thomas C. Breuer am Donnerstag, den 30. August 2012, 20 Uhr in der Stadtbibliothek Reutlingen Eintritt: 8,00 €, ermäßigt 6,00 € Kartenvorverkauf und -reservierung: Musikbibliothek, Telefon 07121 303-2847 |
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Die Vielfalt, der Alltag und die Träume der Afrikaner
Gaus, Bettina: Der Unterschätzte Kontinent : Reise zur Mittelschicht Afrikas Afrika ist der zweitgrößte Erdteil mit etwas über einer Milliarde Menschen, aber oft spricht man von „Afrika“ wie von nur einem Land. Dabei ist die kulturelle und ethnische Vielfalt überwältigend. In den Medien hören und lesen wir oft nur von Hungersnöten und Kriegen, aber vom Alltagsleben wissen die meisten wenig oder nichts. Bettina Gaus reiste für das Buch durch 16 Länder südlich der Sahara – von Kenia, Tansania, Mozambique über Sambia und Angola bis hin zu Nigeria, Ghana und den Senegal. Sie berichtet über ihre Reisen und vor allem über die Menschen, die sie traf, über deren Leben, die Zukunft ihrer Kinder und die Zukunft in Afrika. Dabei traf sie bewusst die Auswahl auf Gesprächspartner aus der Mittelschicht. Ärzte, Lehrer, Kaufleute, Anwälte, Verwaltungsangestellte, Unternehmer oder Künstler. Spannend und mitreißend ist der Einblick in die verschiedenen Länder und das Leben der Menschen dort. Die Unterschiede von Land zu Land werden deutlich und mit jeweils einem kurzen historischen Rückblick geschildert. Der Leser stellt fest, dass die im Buch geschilderten Menschen oft mit den gleichen oder ähnlichen Problemen, Wünschen und Träumen beschäftigt sind wie bei uns. Durch die Schilderung des Alltags werden aber doch die meist schwierigeren Lebensumstände deutlich. Ein lesenswertes Buch für alle, die mehr über den Alltag in Afrika erfahren wollen und ein guter Einstieg für die Erkundung des „Schwarzen Kontinents“. Bettina Gaus ist Buchautorin und politische Korrespondentin der taz. Sie lebte in Nairobi, berichtete in dieser Zeit als Reporterin aus Ost- und Zentralafrika und bereist seit 30 Jahren den Kontinent. Veronika Lenzing
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Ein spannendes, präzises und rasantes Porträt der 50-er Jahre im Mittleren Westen
Donald Ray Pollock: Das Handwerk des Teufels. Thriller. - Liebeskind, 2012. - 302 S. Der amerikanische Schriftsteller Pollock lässt den Leser in dem Roman in die tiefste Provinz des mittleren Westens der 50er Jahre eintauchen. Der junge Arvid wächst in den 1950ern im gleichsam bibelfesten wie gottverlassenen Mittleren Westen der USA unter gewaltgeprägten Umständen auf. Er beobachtet scharf und macht sich seine eigenen Gesetze. Sein Vater ist ein religiöser Fanatiker, der ihn in seine von Wahnvorstellungen geprägte Welt hineinzwingt. Und da sind auch die Prediger Roy und Theodore, die in religiösem Wahnsinn, Verwahrlosung und Obdachlosigkeit aufeinander angewiesen sind. In einem weiteren Handlungsstrang ermordet ein Serienkillerpärchen junge Männer, die es auf der Landstraße aufgabelt. Zunehmend verweben sich diese drei Handlungsstränge zu einem furiosen Showdown. Die Vorstellungen vom idyllischen Landleben der Vereinigten Staaten der 50er Jahre zerbröseln mit diesem Thriller von Donald Ray Pollock, denn er beschreibt Menschen und Lebensumstände, die zunächst bodenständig und konservativ, aber dann doch bigott, kaputt und Soziopathen sind. Pollock schreibt spannend, präzise und rasant. Seine Bilder bleiben im Kopf, häufig sind sie grausam, deprimierend und beängstigend, aber wahnsinnig beeindruckend, und die geradezu apokalyptische Atmosphäre des Romans ist mitreißend. Der Autor Donald Ray Pollock wurde 1954 in Ohio geboren. Er brach die Highschool ab und arbeitete in einer Fleischfabrik und als Lastwagenfahrer. Aus dem Underdog wurde Ende der achtziger Jahre ein Schriftsteller, als er seinen Schulabschluss nachholte und an der Ohio State University Creative Writing studierte. 2008 erschien in den USA sein erster Erzählband „Knockemstiff“, in dem es um eine Kleinstadt im mittleren Westen geht, und um das Schicksal seiner Bewohner. Seither gilt er als eine neue Stimme unter den amerikanischen Gegenwartsautoren. |
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Eine Familienchronik und ein Abgesang auf den Sozialismus
Ruge, Eugen: In Zeiten des abnehmenden Lichts. - Rowohlt, 2011. - 425 S. Diese Familiegeschichte geht von den fünfziger Jahren über das Wendejahr 1989 bis zu Beginn des neuen Jahrtausends. Im Zentrum steht der 90. Geburtstag Wilhelm Powileits, der jeweils aus der Sicht einer anderen Figur beschrieben wird. Wilhelm und seine Frau Charlotte sind noch glühende Vertreter des Sozialismus, ihr Sohn Kurt arrangiert sich mit ihm, und der Enkel Alexander wird zum Republikflüchtigen. Beschrieben werden die verschiedenen Charaktere und der Untergang des Sozialismus. Da ist beispielsweise Kurt, der den zweiten Weltkrieg und den sowjetischen Gulag überlebt. Er kehrt mit seiner russischen Frau Irina aus der Sowjetunion zurück. Sie ist manchmal enttäuscht von den Lebensumständen und wird in späteren Jahren alkoholabhängig. Eugen Ruge macht große zeitliche Sprünge, was vom Leser eine gewisse Konzentration abverlangt. Alle Familienmitglieder haben ihre eigene Geschichte, jede einzelne ist spannend und voller Höhen und Tiefen. Die Charakterisierung des Sozialismus und die Beschreibung der Familienchronik sind in diesem Roman die festen Bausteine, die Eugen Ruge kunstvoll miteinander verknüpft und dadurch große Spannung schafft. Die Sprache ist ruhig und gelassen, das wirkt sehr sympathisch. Der Untergang des Sozialismus ist sicher kein einfaches Thema, aber dennoch wird man von der Geschichte angezogen. Zurecht hat Eugen Ruge für dieses Werk 2011 den deutschen Buchpreis erhalten. Beate Reichmann |
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Vom Abgang eines PatriarchenDie Zeit, die uns noch bleibt. – Regie: Anand Tucker. – 1 DVD, ca. 90 Min. Arthur Morrison (Jim Broadbent), von Beruf Arzt, ist ein unsensibles Wesen: er kann sich nicht in andere einfühlen und nimmt folglich auch nicht wahr oder kann es gar nachvollziehen, dass andere Menschen ihn für diese Eigenschaft hassen. Unter anderem sein Sohn, der erfolgreiche Schriftsteller Blake Morrison (Colin Firth), der trotz Familienpflichten für einige Wochen zu seinen Eltern zieht, als sein Vater im Endstadium an Krebs erkrankt ist. Die Verfilmung von Blake Morrisons intensivem und nicht minder bewegenden autobiographischen Roman von 1994 „Wann hast du zuletzt deinen Vater gesehen?“ arbeitet eine schwierige Vater-Sohn-Beziehung auf britisch-humorvolle Weise auf und entlässt einen dennoch nicht aus der Frage: wie gehe ich mit den Erinnerungen an meine Kindheit, an die Erziehung, an meine Eltern um, wenn sie sich daran machen, für immer zu gehen? Im Fall von Blake ist es besonders bitter, denn von außen betrachtet mag man so gut wie kein gutes Haar an Arthur finden: Er gibt sich tyrannisch, selbstgefällig, patriarchalisch, grenzüberschreitend, arrogant und im höchsten Maße ignorant, und man glaubt, solche vermeintlich überzeichneten Exemplare, die einer bestimmten Generation angehören, durchaus schon persönlich, wenngleich lediglich aus der Ferne wahrgenommen zu haben. Hat er doch seine Frau mit der eines befreundeten Ehepaars betrogen und eine Tochter mit ihr gezeugt, was der sensible Blake im Gegensatz zu seiner Mutter bereits sehr früh erkannt und tief verletzt hat. Mit Vorliebe baggert Arthur Gleichaltrige seines Sohnes an oder sucht ihn auf, wenn er ihn bei einem häuslichen Rendezvous mit dem Hausmädchen vermutet. Natürlich geht Blakes Berufswahl nicht mit den Plänen seines Vaters konform, die dieser sich schon längst für ihn ausgedacht hat: in seine Fußstapfen zu treten. Seine demütigenden und peinlichen Witze findet außer ihm niemand komisch, am wenigsten Blake. Die Verachtung und der Hass auf seinen Vater scheinen grenzenlos zu sein. Man könnte auf die Idee kommen, dass Arthur nicht besonders viele gute Eigenschaften hat, und tatsächlich bleiben sie in diesem Film weit gehend verborgen, wenngleich ansatzweise einige gute Begegnungen und Erinnerungen geschildert werden. Trotzdem macht Blake den bemerkenswerten Versuch, sich seinem Vater in dessen letzten Erdenstunden anzunähern und das Gespräch zu suchen. Möglicherweise ahnt er, dass es leichter wäre, ihn gehen zu lassen, wenn er mit ihm im Frieden ist. Auch wenn Arthur sich bis zuletzt einer Aufarbeitung und Annäherung verweigert und lieber schneller stirbt, als sich seiner Vergangenheit und den Fragen seines Sohnes zu stellen, so scheint dieser Versuch für Blake doch der richtige Weg zu sein – wenngleich es nicht zu einer Versöhnung kommt. Auch mit seiner Mutter kann er nur zaghaft über ihr verkorkstes Leben mit seinem Vater ins Gespräch kommen. Blakes Frau bringt nicht immer das notwendige Verständnis für seine aufgewühlten Gefühle in dieser schwierigen Situation auf. Dass der Leichenbestatter Arthurs Herzschrittmacher mit dem Skalpell herausschneidet, damit dieser nicht bei der Verbrennung explodiert, wird ebensowenig ausgespart wie der Umgang mit der entleerten Urne und Blakes verzweifelter Besuch nach der Beerdigung bei seiner Jugendliebe - dem ehemaligen Hausmädchen. In Rückblenden wird Blakes Kindheit, das Verhältnis zu seiner Mutter und das innerhalb der Familie immer wieder beleuchtet. Viele Filme und Bücher setzen sich derzeit auf sehr unterschiedliche Weise mit dem Abschied von den Eltern und den dabei auf beiden Seiten aufbrechenden Gefühlen auseinander. In Morrisons Buch werden die Tage des Abschieds und Sterbens sehr anschaulich und unsentimental geschildert. Anand Tucker hat Blakes tragische und vielleicht gar nicht so seltene Geschichte auf wundervolle Weise in Szenen gesetzt, die einen im einen Moment laut loslachen lassen und im nächsten zu Tränen und an die eigenen Lebensthemen rühren. Tanja Schleyerbach |
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Kino im Kopf
Rivera Letelier, Hernán: Die Filmerzählerin. – Insel, 2011. - 104 S.
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Lebensmittel für die Tonne
"Dieser Film gehört in jeden Haushalt und in jedes Klassenzimmer" Sarah Wiener Taste the Waste. – Regie: Valentin Thurn. – 1 DVD, 90 Min. Der verschwenderische Verbrauch von Ressourcen wie Strom und Wasser wird ebenso thematisiert wie der umweltschädliche Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden sowie die Auswirkungen des im Bezug auf Kohlendioxid für die Umwelt 25 mal schädlicheren Methangases, das durch die unkontrollierte Verrottung von Lebensmitteln freigesetzt wird. Brotregale in Supermärkten müssen bis 18 Uhr noch komplett befüllt sein, sonst droht der Vermieter mit der Kündigung des Mietvertrages. Es ist offensichtlich, dass mit solchen Methoden die Auswüchse der Überflussgesellschaft immer weiter ad absurdum getrieben werden – auf Kosten des Weltklimas und aller, die an diesem Spiel nicht teilhaben können. Und es wird verständlich, warum inzwischen Lebensmittel in jedem Supermarkt einheitlich aussehen und schmecken und warum die Preise manchem zwar hoch erscheinen, im Vergleich zu 1970 jedoch um bis zu 70 % im Verhältnis zu den gestiegenen Einkommen gesunken sind und für die Arbeiter zu Beginn der Produktions- und Wertschöpfungskette auch deswegen kein angemessener Lohn übrigbleibt. Wie man Produzenten per Gesetz zwingt, einheitlich aussehendes und schmeckendes Obst und Gemüse anzubauen, alte Sorten verbietet, um sie zu 100 % von Saatgut-, Dünge- und Spritzmittellieferanten (in einer Hand) abhängig zu machen, zeigt eindrücklich der Film Monsanto – mit Gift und Genen: vom Dioxin zum gentechnisch veränderten Organismus. Am Ende werden in dem mit dem Umweltmedienpreis 2011 ausgezeichneten Film hoffnungsvolle Ansätze und Projekte gezeigt: Kochen mit abgelaufenen, einwandfreien Lebensmitteln mit Kindern und für Bedürftige, Stadtgärten und Imkereien mitten in New York. "Man kann auch genießen, wenn man genügsam ist". Tanja Schleyerbach |
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Wunderbar exotischer und facettenreicher Film für alle Generationen
Best Exotic Marigold Hotel. - Regie: John Madden. - 1 DVD, ca. 119 Min. "Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es auch noch nicht das Ende!" Ob diese Rechnung tatsächlich aufgeht? Lea Fisler |