Empfehlungen Dezember 2011/Januar 2012
„Ein psychologisch wahnsinnig schlauer, ein schöner, ein wunderbarer Roman.“Denis Scheck, druckfrisch, 25.4.2010.
Geiger, Arno: Alles über Sally. - gelesen von Markus Hering. - Der Hörverlag, 2010. - 6 CDs
So beschreibt einer der bekanntesten Literaturkritiker D. Scheck diesen Roman zurecht. Alfred und Sally führen eine durchschnittliche Ehe und haben drei erwachsene Kinder. Ein Einbruch in ihr Wiener Stadthaus bringt ihr Leben aus dem Gleichgewicht. Die dem Leben zugewandte Sally kann den Schock des Einbruchs besser verkraften als ihr Ehemann, der nun unglücklich ist. Er wirkt deprimiert und bremst sich in seinem Tatendrang. Sally reagiert trotzig auf das Verhalten ihres Ehemanns und beginnt eine Affäre mit seinem besten Freund. Alfred kämpft leise, aber bestimmt um die Frau, die er seit 30 Jahren kennt. Der preisgekrönte Autor Arno Geiger hat ein wertvolles Psychogramm einer Ehe geschrieben, die gegenseitige Abhängigkeit zweier unterschiedlicher Persönlichkeiten. Akribisch schildert er die Alltagsroutine zwischen den Ehepartnern und verwendet Worte sensibel und ausdrucksstark zugleich. Dadurch ist die Handlung durchgehend packend. Markus Hering, geb. 1960, Schauspieler, liest dieses Hörbuch einfühlsam. Er verwendet die Sprache so, dass das Hinplätschern dieser Ehe dem Hörer vor den Augen ersichtlich wird. Beate Reichmann Der Titel ist außerdem als Buch und als eBook im Medienbestand |
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Aus der Musikwelt: neue Weltmusik-CDs
1. Ciganski Diabli: Adagio & Furioso. - 1 CD. - Supraphon, 2010
Ein junger Musiker aus dem nahe gelegenen Tübingen hat sich mit seinem Ensemble ganz der Musik des Klezmer verschrieben und damit Furore gemacht! Seit wenigen Jahren findet er internationale Beachtung und 2008 gewann er mit seinem Trio einen „Echo“-Preis in der Kategorie „Klassik ohne Grenzen“. Die neue CD des Trios mit David Orlowsky an an der Klarinette, Florian Dohrmann am Kontrabass und Jens-Uwe Popp an der Gitarre ist mehr als ein weiterer Beweis ihrer besonderen Begabung für diese Musik. Sie zeigen, wie kreative Musiker auch heute erfolgreich eine eigene Musiksprache finden können. |
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Tierische WahrheitenDuve, Karen: Anständig essen. - Caliani, 2011. - 335 S. Keine Frage, Karen Duve ist eine Spaßbremse. In erster Linie jedoch für sich selbst. Was sie sich über den Zeitraum eines Jahres hinweg auferlegt, mutet aus Sicht einer verwöhnten Konsumentin bemerkenswert an. Über die Erlebnisse und vor allem Schwierigkeiten während eines Jahres Verzicht auf konventionell hergestellte Lebensmittel, Fleisch, Milch- und andere Tierprodukte berichtet die Hamburgerin, die in der Märkischen Schweiz auf dem Land lebt, frisch und rückhaltlos. Literarische Höhenflüge darf man nicht erwarten, es ist die ehrliche Dokumentation eines Selbstversuches, und Duve schreibt, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Konsequent überwindet sie in jedem Moment ihren inneren Schweinehund, nimmt viele Umstände auf sich und unterzieht sich der Steigerung: biologisch – vegetarisch – vegan – frutarisch. Duve, die letztlich nicht nur ihre bislang aus Haribo-Süßigkeiten, Keksen, Tiefkühlprodukten, abgepacktem Supermarkt-Fleisch, viel Ketchup und Cola light bestehende Ernährung, sondern ihren gesamten Lebensstil verändert, nötigt mir damit hohen Respekt ab. Jeder, der schon einmal über einen längeren Zeitraum auf ein bestimmtes Produkt oder eine Angewohnheit verzichtet hat, weiß, wie sehr wir alle verdrängende Gewohnheitstiere sind, auch wenn wir um viele Missstände und Opfer wissen, die der eigene Lebensstil zur Konsequenz hat, oder sie wenigstens erahnen. Um von einer derart ungesunden Ernährung mit deutlichem Übergewicht auf eine ethisch vorbildliche Ernährung und Lebensweise in kurzer Zeit umzusteigen, bedarf es, auch wenn man ein Buch darüber schreibt, eines starken Charakters. So gut wie keine Frage, Schwierigkeit, inneren Kämpfe und auch keine ethische Auseinandersetzung lässt Duve aus. Unterhaltsam diskutiert sie mit ihrer anfangs moralisch noch überlegenen Mitbewohnerin Jiminy Grille jedes praktische Problem, jede neue Erfahrung und jede Ungeheuerlichkeit: Tierkinder werden dem Muttertier sofort nach der Geburt entzogen, Kühen wird drei- bis fünfmal mehr Milch abgemolken, als für sie gesundheitlich vertretbar ist, und da hilft auch kein Biobetrieb. Der Milchkonsum ist weltweit nirgendwo so hoch wie in den westlichen Industrienationen. Für 1 kg Rindfleisch werden 15.000 l (!) Wasser verbraucht, Ferkeln werden die Schwänze ohne Betäubung kupiert, Kälbern die Hornansätze ausgebrannt, Gänsen die Federn bei lebendigem Leib maschinell ausgerissen, Hühnern die Schnäbel abgefräst, und sie rupfen sich dennoch die Federn aus, ihre Füße sind wund, sie erlahmen, weil sie mit 6,5 % Körpergewichtszunahme pro Tag ihr eigenes Gewicht nicht mehr tragen können, sie werden durch Elektrobäder gezogen, und 20 Millionen pro Jahr erleben ihren Tod bewusst mit. Auch in Biomastanlagen werden durchschnittlich 17.500 mit bis zu 3000 Hühnern in einem Abschnitt unter unzumutbaren Bedingungen gehalten. 56 Millionen Schweine werden mit der Elektrozange oder mit Gas betäubt, und trotzdem leben noch 500.000 bei der Überbrühung mit kochendheißem Wasser. 2,4 Sekunden hat der Schlachter für jedes Schwein Zeit, ihm die Halsschlagader zu öffnen. 200.000 Rinder werden pro Jahr nicht richtig betäubt. Auch Bio-Rinder leben in Ställen mit 300 Tieren, und Tiere müssen im Biohof nicht zwingend auf der Weide stehen und erleben nur selten alle Jahreszeiten. Das ist bei Massentierhaltung nicht die Ausnahme. Die CO²-Belastung durch das Methangas der Tierhaltung ist schädlicher als alle Flüge und Autofahrten zusammengerechnet, dazu kommt die Abholzung des Regenwaldes, um Soja- und Maisanbauflächen zu schaffen. Die Zahl von mehr als 200 Millionen schwer unterernährten Afrikanern bringt die Autorin auch in Zusammenhang mit der EU-Landwirtschaftspolitik. Schonungslos ruft Duve in Erinnerung, dass eine biologische Erzeugung nicht automatisch eine artgerechte Tierhaltung beinhaltet und ökologisch nicht verantwortungsvoll ist, wenn dafür tausende Flugkilometer in Kauf genommen werden, dass vegan nicht zwingend biologisch erzeugt und ein fair gehandeltes Produkt biologisch und ökologisch nicht vertretbar sein muss und umgekehrt. Alle Standards werden selten erfüllt, denn dann müsste man den tatsächlichen, nämlich einen gerechten Preis bezahlen, und davor schrecken die meisten zurück, und es ist ja meistens schon ausreichend, das Gewissen an einer Stelle zu beruhigen. Weil niemand den gerechten Preis bezahlen möchte, werden solche Produkte nicht hergestellt, und Duve lässt nichts unversucht, um sie dennoch ausfindig zu machen. Es wird dabei klar, dass jeder mit seinem Konsumverhalten dazu beiträgt, dass allein knallharte wirtschaftliche Kriterien Entscheidungen beeinflussen, von denen Menschen und sogar Kinder mit Arbeitsplätzen und -bedingungen, der Erhalt oder die Vernichtung von Ressourcen, eine ökologisch intakte oder zerstörte Umwelt und viele weitere Faktoren, über deren Konsequenz man beim Konsum selten nachdenkt, betroffen sind. Natürlich bezieht eine vegane Lebensform alle Lebensbereiche mit ein, und so sortiert Duve erstaunlich unsentimental nicht nur ihren Kühlschrank und die Speisekammer, sondern ihren gesamten Haushalt vom ledernen Schlüsselanhänger über Wollpullover und Seifen bis zur Daunenbettdecke aus. 200.000 bis 450.000 Menschen in Deutschland teilen diese Lebensweise mit ihr. Anfangs verdoppeln sich auch aufgrund ihrer weiterhin ungesunden Ernährung die Lebenshaltungskosten für die Umstellung nahezu, bei veganen Produkten verdreifacht er sich. Verzicht ist damit zusätzlich an anderer Stelle gefragt, und sie kann ihn sich offensichtlich leisten. Am Ende steht eine neue Karen Duve, die nicht alles anders, aber das meiste besser machen wird, die ihr Übergewicht in den Griff bekommen und viele persönliche Opfer innerhalb eines kurzen Zeitraums erbracht hat, um „ein besserer Mensch“ zu werden. Sie lebt in dem Bewusstsein, dass die Ernährung und der Verbrauch der Menschen in den so genannten zivilisierten Ländern weit über das hinausgeht, was einem jeden zustünde, würden alle Menschen des Planeten dasselbe Konsumverhalten an den Tag legen, und Krieg wäre vorprogrammiert. Sie möchte, dass in einem zivilisierten Land keine Tiere mehr gequält werden - bei Kindern ein Merkmal von Verhaltensauffälligkeit - und der Verbraucher dafür gesetzlich geregelt einen gerechten Preis bezahlt. Viele Bücher zur Bewusstseinserweiterung stehen im Esoterikregal; dieses erweitert das Bewusstsein mindestens im vergleichbaren Umfang. Es steht nichts grundsätzlich Neues darin, was man nicht schon wüsste, und natürlich kann man auch trockene Statistiken konsumieren, die verlässlichere Zahlen bieten. Die Fakten in welcher Form auch immer kann man sich indes nicht oft genug zu Gemüte führen. Man bleibt betroffen zurück, wohl wissend, dass man nicht zum Selbstversorger werden kann, dass die Zukunft der Menschheit und des Planeten in sehr absehbarer Zeit allerdings gänzlich neue Wege braucht, um gemeinsam zu überleben, ahnend, dass diese gravierenden Einschnitte der Anfang sein werden zu weiter gehenden tief greifenden Änderungen des eigenen Lebensstils, nicht wissend, ob man selbst wenigstens eine kleine Lebensumstellung zustande bringen oder sie erneut an der eigenen Bequemlichkeit scheitern wird. Der Kabarettist Philipp Weber stellt treffend fest, dass die tägliche Entscheidung vor dem Supermarktregal folgenschwerer sei als die in der Wahlkabine. Auf erschreckende Weise ist „Anständig essen“ eine Untermauerung dieser These. Wer unbewusst weiterleben möchte wie bisher, sollte das Buch lieber im Regal stehen lassen, denn niemand kann nach dieser Lektüre mehr von sich behaupten, er habe nichts gewusst. Tanja Schleyerbach Der Titel ist außerdem als eBook und als eAudio im Medienbestand. |
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Afrika online…
Nwaubani, Adaobi Tricia : Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy. - dtv, 2011. - 495 S.
Die junge nigerianische Autorin Adaobi Tricia Nwaubani hat einen leicht zu lesenden Roman geschrieben, in dem die Scam-Szene in Nigeria dargestellt wird. Es geht um Mittelschicht-Familien in Nigeria, um Geldsorgen, Liebe, Armut, Krankheit und Gewissensbisse, um Internetbetrug und Überlebensstrategien. Und von der anderen Seite aus betrachtet ist das Scammen auf einmal eine Art individuelle Entwicklungshilfe für die junge aufstrebende Mittelschicht in Nigeria, wo eine Hand die Euros und Dollars einsackt, während die andere sie weiterreicht an bedürftige Familienangehörige. Neben einer witzigen und doch tiefgründigen Geschichte erfährt man Vieles über das Familienleben im modernen Nigeria, das seinen eigenen afrikanischen Gesetzen gehorcht. |
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Farben, die schmecken und rascheln
Cottin, Menena ; Faría Rosana: Das schwarze Buch der Farben. - S. Fischer Verl., 2008. - 14 Bl.
In diesem Bilderbuch, welches nicht nur Kinder faszinieren dürfte, geht es um Farben. Allerdings ist dieses Buch von der ersten bis zur letzten Seite schwarz. Denn in diesem Buch geht es darum, wie Blinde Farben wahrnehmen. So schmeckt für Thomas, den Protagonisten dieses Buches, „die Farbe gelb nach Senf“ und „die Farbe braun raschelt unter seinen Füßen, wenn die Blätter vertrocknet sind“. Dieses ungewöhnliche Buch, welches alle Sinne sensibilisiert und einen ganz neuen und spannenden Blick auf die Welt der Farben eröffnet, ist zum einen für Sehende geschrieben. Zudem ist es aber auch für Blinde geeignet, da die Bilder ertastet werden können und die schönen Texte zusätzlich in Blindenschrift vorhanden sind. Im Anschluss wird das Braille-Alphabet erklärt, so dass man auch als Sehender einmal versuchen kann, Blindenschrift zu lesen. Das Buch wurde 2007 mit dem Bologna Ragazzi Book Award in der Kategorie New Horizons ausgezeichnet. |
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Von der grenzenlosen Freiheit des menschlichen GeistesDonoghue, Emma: Raum. - Piper, 2011. - 409 S.Little Jack ist ein ganz besonderer Junge. Sein Wortschatz ist dem eines gewöhnlichen Fünfjährigen weit voraus, und seine Ideen, Fragen und Wortspiele sind atemberaubend. Genau heute wird Little Jack fünf, seine Lieblingszahl, und als Überraschung gibt es einen echten Kuchen ohne Kerzen, aber mit Schokolade von Weihnachten und ein selbstgemaltes Bild von Ma. Freund Fünf hat inzwischen 20 Zähne und muss nun selbst entscheiden, und mit fünf weiß er auch schon alles. Er wohnt mit Ma in einem 12 m² kleinen Raum, den er noch nie verlassen hat. Old Nick sorgt mit einer Schließanlage zuverlässig dafür, dass Jack und seine Ma nie (mehr) einen Sonnenstrahl auf ihrer Haut spüren oder den Gartenschuppen jemals (wieder) verlassen. Er kommt fast jeden Abend nach 21 Uhr in Raum und macht mit Ma, woraus Jack entstanden ist – und seine große Schwester, die die Geburt in Raum nicht überlebt hat. Jack zählt die Quietscher des Bettes, bis er in Schrank ausschaltet, denn Old Nick will er nicht sehen. Für Jack ist Raum der ganze Kosmos, und alles andere ist Fernsehen. Ma und er besitzen fünf Stecknadeln, ebensoviele berühmte Meisterwerke von der Haferflockenschachtel, eine Spielesammlung, zehn Bücher, eine Pflanze, eine Spinne, eine lebende Maus, einen Fernseher, einen Kühlschrank, einen Herd, einen Tisch, zwei Stühle, wenige und für Jack zu kleine Kleider, ein Bett und einen Schrank. Man kann eine Menge anstellen und sich ausdenken, wenn man alle Zeit der Welt hat, und die beiden haben tausend Sachen zu erledigen: ihre Pflanze gießen, waschen, kochen, baden, Sport machen, reden und abends eine Stunde fernsehen. Jack und Ma lesen, singen, tanzen und spielen Liederraten, Wolkenkratzer bauen, Orchester, Toter Mann, Trampolinspringen, Bowling, Abseilen, Arche Noah und Blindekuh. Jeder darf mal aussuchen, was gespielt wird, und wer gewinnt, bekommt einen Kuss. Sie basteln aus Abfall und Mehlteig phantasievolle Gebilde, ein Labyrinth aus Klorollen, eine Eierschalenschlange und den Wörterball. Wir sind auch dabei, als Jack den ersten Lolli bekommt, als Old Nick zur Strafe den Strom abstellt und alles Gefrorene auftaut, als Ma gewürgt wird und ihr von Old Nick gebrochenes Handgelenk oder wenn Mas fauliger Schlimmerzahn schmerzt, der in ihrem Mund wohnt, bis er herausfällt und Jack ihn immer zur Beruhigung lutschen kann. Ma achtet auf eine gesunde Ernährung, aber die Abhängigkeit von Old Nick macht es schwierig, an frisches Obst und Gemüse zu kommen, und Jack trinkt immer noch aus ihren Brüsten. Oft gibt es Jacks schlimme und zweitschlimme Lieblingsgerichte: Bohnen. Als Sonntagsgutti wünscht sich Ma manchmal eine neue Hose für Jack, die natürlich nicht passt, oder Schmerztabletten. Alles muss leicht zu besorgen sein, sonst gibt es überhaupt kein Sonntagsgutti. Ma hat nicht vergessen, wie es im Draußen ist; bis zur Entführung in ihrem 20. Lebensjahr führte sie ein ganz normales Leben. Als sie es nicht mehr aushält, entlügt Ma ihre Geschichte und erklärt Jack, so gut es möglich ist, ihre Situation. Ihr ausgeklügelter und riskanter Fluchtplan setzt voraus, dass Jack ein Superheld ist. Es ist das Spannendste und Gefährlichste, was Jack in seinem jungen Leben bisher erlebt hat. Was ihn draußen erwartet, ist für seinen Kosmos unvorstellbar. Das unterernährte Kind mit den langen Haaren wird wie seine Mutter zunächst in einer Klinik behandelt und psychiatrisch betreut. Jack dachte bislang, alle Verrückten kriegen dort geholfen, dabei springen noch mehr davon frei herum. Die Medien stürzen sich wie Geier auf die beiden und missachten alle Grenzen. Mas Eltern leben inzwischen getrennt und sind neu liiert, ihr Bruder hat Familie, und auch sonst hat sich manches in acht Jahren verändert. Jacks Großvater verachtet den Bastard Jack und will nicht in seine Nähe kommen. Dabei ist Jack ein ganz wundervolles Kind und der einzige Grund, dass Ma noch am Leben ist. Sie könnte als beste Mutter der Welt durchgehen, denn sie hat in dieser bedrückenden Situation so gut wie alles richtig gemacht, und auch wenn ihr Spielraum eng war, hätte sie doch noch eine Menge falsch machen können. Sie gibt Jack, was jedes Kind für eine glückliche Kindheit dringend benötigt: Schutz und Sicherheit, Liebe und Zuwendung, Geborgenheit und bedingungslose Nähe, Spiel und Spaß, Phantasie ohne Grenzen, Bewegung und Bildung - ein gutes Zuhause. Die ersten Stunden, Tage und Wochen im Draußen sind eine einzige Überforderung - nicht nur für Jack. Unvorstellbar, was in der Konfrontation mit der Außenwelt an Neuem auf den sensiblen Jungen einströmt und immer wieder verblüffend, wie dieser die Ereignisse in sein bisheriges Weltbild einordnet. Ma kommt mit der Realität im Draußen nicht mehr zurecht und versucht, mit einer Medikamentenüberdosis ganz abzuschalten. Raum ist aus Jacks Perspektive geschrieben, und die wirkt bisweilen außergewöhnlich komisch - im Gegensatz zum Ernst der Lage. Klar, dass beim ersten Ausflug ins Draußen aus seiner Sicht die Menschen von den Hunden spazieren geführt werden. Erschütternd ist, dass beide das Draußen nur selten als Freiheit, sondern hauptsächlich als Belastung und Bedrängung erleben. Am liebsten wären sie wieder ganz für sich. Jack sehnt sich nach dem Schutz und der Übersichtlichkeit von Raum, und am Ende überwindet sich Ma ein letztes Mal und verabschiedet sich mit ihm von ihrem Gefängnis. Der irischen Autorin gelingt es hervorragend, die Beklemmung in Raum, die nur langsam und sukzessive unter die Haut kriecht, die Diskrepanz zwischen der Überschaubarkeit von Raum und Überforderung im Draußen und gleichzeitig die Weite und Phantasie des menschlichen Geistes, dem keine Grenzen gesetzt sind, in einen packenden und realitätsnahen Roman mit einer ganz eigenen Sprache und Sichtweise zu verwandeln. Tanja Schleyerbach Der Titel ist außerdem als Hörbuch im Medienbestand. |