Empfehlungen Oktober/November 2012
Hommage an einen "Weltbenenner" in überzeugend gewitzter, bildkräftiger Sprache
Lewitscharoff, Sibylle: Blumenberg. Suhrkamp., 2011. - 216 S. In ihrem 2011 erschienenen Roman Blumenberg nimmt Sibylle Lewitscharoff Bezug auf die 2001 unter dem Titel „Löwen“ erschienenen philosophischen Betrachtungen aus dem Nachlass Hans Blumenbergs. Das Leben Blumenbergs und das Schicksal einiger seiner Studierenden wird im Kontext der Löwen-Erscheinung erzählt. In ihrem Buch erscheint dem Philosophen Hans Blumenberg eines Nachts ein Löwe im Arbeitszimmer. Er liegt auf dem Teppich und schaut den Hausherrn an und zeigt sich auch während seiner Vorlesung an der Universität. Der Löwe ist das metaphysische Wappentier - der Sendbote einer anderen Welt, ein Stellvertreter des Absoluten. Und beinahe ein Wunder ist es, wie beschreibungsmächtig die Autorin dem Tier Präsenz verleiht. Der Löwe liegt als "Zuversichtsgenerator" in der Nähe, wenn der Philosoph Blumenberg die Nächte durch diktiert, und verbreitet seine "wie obenhin verschwebende geruchliche Schärfe". Er trottet aber auch - unsichtbar für gewöhnliche Kommilitonen des Lebens - bei Blumenbergs Vorlesungen durch den Mittelgang. Nur noch die alte Nonne Käthe Meliss, eine der vielen reizvollen Nebenfiguren, besitzt die gewisse Löwensichtigkeit. Veronika Lenzing Autor im Gespräch am Mittwoch, 07. November 2012, 20 Uhr in der Stadtbibliothek Reutlingen Eintritt: 8,00 €, ermäßigt 4,00 € Kartenvorverkauf und -reservierung: Musikbibliothek, Telefon 07121 303-2847 |
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Ein Keltengrab auf dem Tieflader und Neues von dem Mann aus dem Eis
Deutschlands Supergrabungen. - Hrsg. von Alexander Hesse. - Theiss Verl., 2012. - 175 S. In keinem Land der Welt wird so viel ausgegraben wie in Deutschland. Moorleichen, Mörder, grausame Schlachten, versunkene Schiffe und geheime Fluchttunnel: Immer wieder berichten die Medien von sensationellen Entdeckungen deutscher Archäologen - Wissenschaftlern, die im Wettlauf gegen die Zeit und skrupellose Raubgräber arbeiten, und Forschern, die in akribischer Kleinarbeit am Schreibtisch puzzeln, vergleichen und archivieren. Und immer noch sind über 90 Prozent der archäologischen Schätze in Deutschland unentdeckt. Das bedeutet, dass die Archäologie auch in Zukunft noch viel Interessantes entdecken kann. In diesem Buch geht es nicht nur um die Urzeit und das Altertum in Deutschland, sondern zunehmend auch um um Siedlungs- und Stadtarchäologie der Neuzeit. Die Geschichte einer barocken Kegelbahn im Kloster Banz wird ebenso beschrieben wie die Suche nach der bei einer Sturmflut an der nordfriesischen Küste untergegangenen Stadt Rungholt und ein Fluchttunnel in Glienicke, durch den 1963 dreizehn Menschen nach Westberlin flüchteten. Spannende Geschichte(n) duch alle Zeitalter! Das Begleitbuch zu 2 Terra-X-Folgen stellt die bedeutendsten Grabungen und die spektakulärsten Funde in Deutschland vor. Zugleich bietet der Band einen einzigartigen Überblick über die Geschichte Deutschlands - von der Eiszeit bis zur Berliner Mauer.
Andrea Däuwel-Bernd |
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Sonnige Laune und melancholische Sehnsucht
Hamel, Wouter: Lohengrin / Hamel. - Decca, 2011. - 1 CD
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Eine herausragende LiteraturverfilmungThe Descendants - Familie und andere Angelegenheiten. - Regie: Alexander Payne. - 1 DVD, ca. 110 Min. Matt King hat als Nachfahre einer steinreichen hawaiianischen Königstochter mit Sicherheit keine finanziellen Sorgen und ist glücklicher Ehemann und Vater zweier Töchter, als seine Frau Elizabeth nach einem schweren Bootsunfall ins Koma fällt. Die Ärzte machen ihm keine Hoffnung und erklären ihm unmissverständlich, dass sie in absehbarer Zeit gemäß der Patientenverfügung seiner Frau die lebenserhaltenden Maßnahmen einstellen und die Organspende einleiten werden. Seine reichlich frühreife und vorlaute jüngere Tochter Scottie fühlt sich zur Malerin berufen und beginnt - sicher auch zur Verarbeitung der Gefühle - ihre sterbende Mutter zu malen und die Ergebnisse ihren Klassenkameradinnen zu präsentieren, was nicht überall gut ankommt. Auch sonst nimmt sie kein Blatt vor den Mund und muss deswegen gleich zu Beginn des Films zu einem Entschuldigungsbesuch bei einer weniger begüterten Familie antreten. Mit Scottie sucht Matt Alexandra, die Ältere, auf ihrer Privatschule auf, wo diese sämtliche Regeln des Anstands und gepflegten Umgangs verlernt und sich dem Alkoholkonsum sowie einem recht eigenwilligen Freund, Sid, hingegeben hat. Nachdem dieser sich von Liz‘ despotischem und Matt gegenüber stets vorwurfsvollem Vater ein blaues Auge eingefangen und alle Unklarheiten beseitigt sind, wachsen die vier zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammen, denn ohne Sid geht bei Alexandra gar nichts. Zu allem Überfluss erfährt Matt in dieser Situation, als er nichts mehr klären kann, dass Elizabeth ein Verhältnis mit einem anderen Mann hatte. Er stellt Liz‘ beste Freundin, und die vier beschließen, ihren Liebhaber aufzusuchen, und es kommt zu einem spannenden Treffen mit dessen Familie. Matt will ihn vordergründig über Liz‘ Zustand in Kenntnis setzen, ihn in Wahrheit jedoch zur Rede stellen. Immerhin verschont er dessen Frau Julie mit den prekären Informationen und überlässt es dem flehenden Brian, sie selbst darüber aufzuklären. Nebenbei soll Brian als Treuhänder seiner Großfamilie großflächige Ländereien an einen hawaiianischen Bieter verkaufen, und die Familie kommt zusammen, um darüber abzustimmen. Pikanterweise würde sich der Immobilienmakler Brian Speer mit den Provisionen vom Verkauf des Landes auf Kaua'i eine goldene Nase verdienen, und doch nimmt man es Matt ab, dass dies nicht der einzige Grund dafür ist, dass er entgegen dem sehr eindeutigen Familienbeschluss die Unterzeichnung des Vertrags verweigert und das unberührte Stück Paradies für die Familie und die Menschen in Hawaii erhalten möchte, statt es der Zersiedelung durch Hotelkomplexe und Bespaßungsanlagen preiszugeben. Elizabeth muss sich derweil auf ihrem Sterbebett wehrlos so manches anhören: Matts Wutausbrüche, Alexandras Hasstiraden und später auch noch Julie Speers Beschimpfungen, der gedemütigten Frau von Elizabeths Geliebten Brian Speer und Mutter seiner beiden Söhne. Immerhin ist sie es, die sich von Liz verabschiedet und ihr sogar vergibt, während Brian sich dieser letzten Pflicht entzieht. Liz kommt nicht mehr zu Bewusstsein, und die Familie folgt ihrem Wunsch nach Abschalten der Apparate. Ihre Asche wird nach hawaiianischem Ritual von Matt und den Töchtern auf dem Meer vor Waikiki verstreut. Am Ende sitzen die drei mit Liz‘ Totendecke vor dem Fernseher und sind durch Liz‘ Tod wieder zu einer Familie geworden. An aufwühlenden Gefühlen mangelt es dem Film nicht, gerade nicht an negativen, sie alle kommen zu ihrem Recht. Auch wenn die Themen schwere Kost sind, Alexander Payne gelingt eine immer wieder humor- und gefühlvolle und doch nie kitschige und genau deswegen überragende Verfilmung des Romans Mit deinen Augen von Kaui Hart Hemming mit genialen Einstellungen und einem brillant spielenden George Clooney, der in jedem Moment Matt King ist und dessen wechselnde Gefühlslagen sich in seiner differenzierten Mimik und Gestik spiegeln. Die Nominierung für fünf Oscars (davon der Gewinn für das beste adaptierte Drehbuch) und der Gewinn von zwei Golden Globes neben zahlreichen anderen Nominierungen und Auszeichnungen sind dem Melodram überaus angemessen. Tanja Schleyerbach |
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Urkomisch, absurd und liebenswert schrullig
Tanja Schleyerbach |