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„Schneeglöckchen“ im russischen Winter
Miller, Andrew D.: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe. - S. Fischer, 2012. - 284 S.
Der junge Investmentanwalt Nick arbeitet seit einigen Jahren für seine englische Firma in Moskau. Dort herrscht in den Jahren der Jahrtausendwende Aufbruchstimmung, Expansion, Turbokapitalismus. Bei den Treffen mit reichen Geschäftspartnern fließen Wodka und riesige Summen für Investitionen in obskure Projekte. Wer mit wem dealt, ist egal, und die Kunden sind oft brutale Mörder und Betrüger. Nick führt ein zielloses Leben, bis er in einer U-Bahnstation die schöne Mascha und ihre Schwester kennenlernt. Nick verliebt sich, schmiedet Zukunftspläne. Aber die Dinge nehmen eine seltsame Wendung, als er einer Tante der beiden jungen Frauen beim Wohnungsverkauf helfen soll. Er wird in ein verhängnisvolles Spiel hineingezogen, das die dunklen Seiten Moskaus offenbart.
Wie durch ein Brennglas wird in dem Roman der Blick auf eine Welt gerichtet, in der jede Verpflichtung gegenüber Traditionen, Religion und Ideologie abgelöst wird durch das Recht des Stärkeren, durch Gier, Gewissenlosigkeit und Verrohung. Was wie eine Liebesgeschichte mit Erotikpotential beginnt, birgt zuerst nur leise Untertöne voller Unbehagen und wird schließlich zum spannenden Krimi, angetrieben von der Sicht des Ich-Protagonisten, der die Geschichte einer Selbsttäuschung erzählt, die zur Beichte wird. Wie bei einer Babuschkapuppe kommen mehr und mehr Facetten der Handlung zum Vorschein. Subtil und elegant erzählt Andrew D. Miller vom langen russischen Winter, in dem der Schnee vieles zudeckt, was erst im Frühjahr wieder zum Vorschein kommt.
Geheimnisvoll, gefährlich und poetisch! Unbedingt lesen!
Andrew D. Miller, geb. 1974, studierte Literatur in Cambridge und Princeton. Er arbeitet für „The Economist“, bis 2007 war er Moskau-Korrespondent. Sein erster Roman war für den Booker-Preis und den Golden Dagger Award nominiert.
Andrea Däuwel-Bernd
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Traumhafte Liebesgeschichte
Barreau, Nicolas: Eines Abends in Paris. – Thiele, 2012. – 362 S.
Alain Bonnard besitzt ein kleines Programmkino in Paris, das Cinéma Paradis. In seinem Kino gibt es keine Hollywood-Blockbuster, Popcorn-Eimer oder XXL-Colabecher. Er zeigt nur Filme, die etwas Besonderes haben und zum Träumen verleiten, allerdings lässt sich damit kaum Geld verdienen. Er kennt und mag die Menschen, die in sein Kino kommen. Ganz besonders diese bezaubernde schüchterne Frau im roten Mantel, die jeden Mittwoch erscheint und sich immer in die Reihe 17 setzt. Eines Abends fasst er sich ein Herz und lädt die Frau zum Abendessen ein. Sie verbringen einen wunderschönen Abend zusammen, und alles scheint perfekt. Denn gleichzeitig wird sein Kino als Schauplatz in Allan Woods neuem Film ausgewählt, und Alain erlebt eine aufregende Zeit. Zukünftig sind alle Kinovorstellungen im Cinéma Paradis ausverkauft. Doch die Frau im roten Mantel ist wie vom Erdbeben verschluckt. Warum kommt sie nicht mehr ins Kino oder meldet sich? So macht sich Alain auf die Suche nach ihr…
Nicolas Barreau hat wie in seinen vorherigen Romanen eine traumhafte Liebesgeschichte in Paris angesiedelt.
Silke Rieger
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Ja, ich will… den Kulturen-Clash!
Netenjakob, Moritz: Der Boss. - Kiepenheuer & Witsch, 2012. - 313 S.
Aylin hat endlich Ja gesagt. Daniel ist am Ziel seiner Träume. Denkt er. Diese Rechnung hat er ohne die unberechenbare türkische Großfamilie gemacht. Leider arten die Hochzeitsvorbereitungen mit jeder Menge Konfliktpotenzial zum absoluten Wahnsinn aus. Dafür benötigt Softie Daniel sehr viel Geduld und einen langen Atem. Ob er seine bildschöne Aylin nach allem noch zur Frau nehmen kann und will?
"Der Boss" von Moritz Netenjakob ist die Fortsetzung seines sehr erfolgreichen Romandebüts Macho Man. Humorvoll und sympathisch lässt der Autor kein Klischee aus. Der Roman steckt voller irrwitzig humorvoller Situationen ist aber zugleich nie respektlos.
Lea Fisler
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Bewegendes Schicksal einer Frau unter der dominikanischen Diktatur
Das Fest des Ziegenbocks. – Regie: Luis LLosa. - 1 DVD. – 2011, 125 Min.
Urania Cabral, eine unverheiratete New Yorker Anwältin, kehrt nach mehr als 30 Jahren in die Dominikanische Republik und zu ihrer Familie zurück. Der Grund für ihre lange Abwesenheit liegt in ihrer Vergangenheit begründet. Sukzessive ahnt und erfährt man schließlich, dass es mit ihrem inzwischen im Rollstuhl gefesselten und zum Schweigen verdammten Vater, dem regimetreuen Regierungspräsidenten Augustín Cabral unter dem gnadenlosen Diktator Rafael Leónidas Trujillo, „the chief“, zusammenhängt, seiner Karriere, der er seine einzige, angeblich so geliebte Tochter geopfert hat, seiner Feigheit.
In Rückblenden kann man die willkürliche und brutale Diktatur des „Generalissimus“, der das dominikanische Volk von 1930 bis 1961 geknechtet, unterdrückt, ausgebeutet, entrechtet und politische Gegner eliminiert hat, nachvollziehen. Auch Cabral wird von einem Tag auf den anderen fallen gelassen, das Opfer war umsonst. Der „Ziegenbock“ kennt keine Grenzen, und so verschafft er sich Zugang zu den Frauen und Töchter seiner Untergebenen, von denen nicht der leiseste Widerspruch geduldet wird. Alles wird zum Anlass genommen, sie zu demütigen und unterwürfig zu halten. Für Frischfleisch ist ständig gesorgt, Jungfrauen sind seine Spezialität. Erst 1961 bereitet ein Attentat nach unendlich viel Leid dessen maßlosem Treiben ein Ende.
Auch Urania blieb dieses Schicksal nicht erspart, und so kommt die schwer Traumatisierte zu ihrem Vater in dessen letzten Lebensphase zurück und klärt die Familie auf. Sie ist männer- und kinderlos geblieben und hat Karriere gemacht. Ihre Familie möchte die alten Geschichten nicht wirklich hören, der Vater ist verstummt.
Auch ohne den im Jahr 2000 erschienen Roman des Literaturnobelpreisträgers Mario Vargas Llosa gelesen zu haben, an dessen Vorlage sich der unter der Regie seines Neffen entstandenen Film laut Kritiken eng hält, wage ich ihn zu empfehlen: Isabella Rossellini als Urania überzeugt auf der ganzen Linie ebenso wie Ricardo Álamo als Trujillo.
Tanja Schleyerbach
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Skurrile Ménage à trois
Im Weltraum gibt es keine Gefühle. – Regie: Andreas Öhman. - 1 DVD, 83 Min.
Simon trägt einen Button „Ich habe Asperger“, denn er will nicht angefasst werden. Das sagt er jedem der es hören will, bevor er handgreiflich werden muss. Wenn ihm etwas Angst macht, verkriecht er sich in seine transportable, im Weltraum herumfliegende Tonne und spricht nur noch in Astronautensprache, die aus Science-Fiction-Filmen kennt. Dort gibt es nämlich keine Gefühle, und das ist ihm bekannt. Simons Bruder Sam ist der Einzige, der einen Zugang zu ihm hat und ihn aus der Tonne herauszulocken vermag. Kurzerhand verfrachtet er ihn mitsamt seiner Tonne von der elterlichen in die gemeinsame Wohnung zu seiner Freundin Frida. Die ist jedoch alles andere als begeistert, als Simon anfängt, den gemeinsamen Tagesablauf minutiös durchzustylen, als System an die Wand zu pinnen, peinlichst genau auf dessen Einhaltung zu achten und zu bestimmen, wer wann welche Aufgaben zu erledigen hat. Natürlich kommt es zu haarsträubenden Szenen, als Simon zum von ihm festgelegten Zeitpunkt die Badetüre aufreißt, weil Frida ihre Zeit darin überzogen hat. Sam lässt Simon jedoch nicht fallen, als Frida auszieht. Simon stellt lakonisch fest, sie haben sowieso nicht zu ihnen gepasst.
Ihm ist klar, er muss für Sam eine neue Freundin finden. Dieser Aufgabe widmet er sich mit allen erdenklichen in seiner Welt verfügbaren Hilfsmitteln. Mit mathematischer Genauigkeit interviewt er Gleichaltrige, um eine geeignete Partnerin zu eruieren, die er Sam stolz präsentieren kann. Statistisch ist es genau die richtige Freundin für Sam. Überaus groß ist seine Enttäuschung, als Sam ihm sagt, dass Gegensätze und nicht Gleiches sich wie zwei Magneten anziehen und man sich nicht aufgrund eines Bildes verlieben kann. Also muss er die elf Fragen anders auswerten. Doch so einfach ist das nicht. Abwaschen aber muss sie in jedem Fall können, denn das macht sonst keiner in dem Männerhaushalt. Simon stößt auf dem Weg zur Arbeit mit einem völlig durchgeknallten Mädchen zusammen, das er zunächst ohrfeigen muss, an dem er aber bald Gefallen findet. Er organisiert mit seinen Arbeitskollegen ein unvergleichliches Tête-à-Tête der Beiden, denn Sam weigert sich standhaft, seine „neue Freundin“ offiziell zu treffen. Auch Sam wird schließlich einsichtig, und so steht der Ménage à trois nichts mehr im Wege.
Der schwedische Regisseur Andreas Öhman hat seine Figuren skurril überzeichnet. Natürlich ist es nicht so lustig, mit Asperger durch die Welt zu laufen, wie der Film suggeriert, weder für einen selbst noch für die Umwelt. Öhman ist ein überaus komischer Streifen gelungen, der aufgrund einer tiefen Bruderliebe zwei Welten aufeinanderprallen lässt und für beste Unterhaltung mit garantierten Lachsalven sorgt.
Tanja Schleyerbach
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