Titel verfügbar?
|
Bewegende Vater-Sohn-Geschichte
Gilmour, David: Unser allerbestes Jahr. - S. Fischer, 2009.- 253 S.
Was macht man mit einem Sohn, der nicht mehr in die Schule gehen möchte? In die Schule prügeln vielleicht oder Moralpredigten halten? Das macht alles David, Jesses Vater, nicht. David schlägt seinem Sohn folgenden Handel vor: sie schauen drei Filme pro Woche zusammen an, von Truffaut und Hitchcock bis „Basic Instinct“. Jesse geht auf den Vorschlag ein, er hat Vertrauen zu seinem Vater, und der Vater, was genauso wichtig ist, vertraut seinem Sohn, dass dieser seinen Weg finden wird. Sie reden über jedes Thema: die erste Liebe, Menschen, die einen enttäuschen können, Gefühle und Jobs. Jesse arbeitet als Tellerwäscher, hat die falschen Freunde, schreibt Raptexte und singt. Ein ständiges Auf und Ab für den Vater.
Beschrieben wird auch die Beziehung zwischen Mutter und Sohn. Die Eltern leben getrennt, verstehen sich aber gut. Eine wichtige Rolle für Jesse spielt auch Tina, die Ehefrau von David. Sie rauchen oft eine Zigarette zusammen, und dabei unterhalten sie sich über das Leben. Einer der schönsten Szenen in diesem Buch ist, als David weint, da Jesse seine erste Liebe verliert. Es gibt Geschichten in diesem Buch, in denen man sich selbst wiederfindet in jeder Rolle: Kind, Eltern, Jugendlicher, Erwachsener, Freund oder Freundin, in welche Geschichte man gerade schlüpfen möchte. Dieses Buch ist authentisch, und deshalb ist es auch so fabelhaft. Es sind die Helden des Alltags mit ihren Schwächen und Stärken, keine Superhelden. Manchmal wird vielleicht auch zu umfangreich von Filmen berichtet und ist für den spannend, der Filme liebt.
Diese Geschichte ist so schön geschrieben wie ein Welle im Meer, von der man getragen wird. Keine komplizierten Sätze, eine einfache Schreibweise, das Motto von David Gilmour. Eine wunderbare und bewegende Geschichte. Ein großartiges und schönes Buch. Einfach lesen!
Beate Reichmann
|
|
Titel verfügbar?
Titel verfügbar?
|
Frauenpower und Mannomann
Gedichte für Frauen. - Hrsg. von Michael Frey und Andreas Wirthensohn. - Deutscher Taschenbuch Verlag 2013. - 141 S.
Frauen sind angeblich das schwache Geschlecht. Doch in den hier versammelten Versen ist davon nichts zu spüren. Schlau, schlagfertig, klug und gewitzt bewältigen die Frauen den Alltag, überstehen Blind Dates und Alterungserscheinungen, machen sich ihre Gedanken über die Liebe und über die Männer. Die Herausgeber der Lyriksammlung mischen zeitgenössische Texte mit wenigen Klassikern und gewähren einen vergnüglichen Blick in die Frauenwelt.
Gedichte für Männer. - Hrsg. von Michael Frey und Andreas Wirthensohn. - Deutscher Taschenbuch Verlag, 2013. - 142 S.
Männer haben es nicht leicht. Da ist es doch beruhigend, dass sie mit ihren Sorgen nicht ganz allein auf der Welt sind. In diesem Lyrikband teilen Männer ihre Gedanken zu den komplizierten Dingen des Lebens, und das sind vor allem die Frauen. Aber auch Männerphantasien, Idealvorstellungen, Beziehungsprobleme und die schnöde Wirklichkeit kommen zur Sprache.
Zwei kleine Lyrikbändchen für „Einsteiger“, die gerne auch mal vergnügliche und pointierte Texte lesen. Die Herausgeber Michael Frey und Andreas Wirthensohn haben Erfahrung mit solchen Gedichtbändchen, die sich auch zum Verschenken eignen.
Andrea Däuwel-Bernd
|
|
Titel verfügbar?
|
Abschied vom Verzagtsein: ein Jugendlicher auf der Suche nach einem gelingenden Leben
Bronsky, Alina: Nenn mich einfach Superheld. – Kiepenheuer & Witsch, 2013. – 240 S.
In dem dritten Roman der 1978 in Russland geborenen Journalistin und Romanautorin Alina Bronsky geht es so rasant zu, dass man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Marek, die 17-jährige Hauptperson, wurde von einem wild gewordenen Kampfhund attackiert. Jetzt ist sein Gesicht entstellt, und er hat sich vom Leben zurückgezogen, traut sich nur noch mit Sonnenbrille und im Dunkeln auf die Straße.
Seine allein erziehende und als Anwältin für Scheidungsrecht arbeitende Mutter meldet ihn zu einer Selbsthilfegruppe an. In der Annahme, das sei eine Lerngruppe fürs externe Abitur, geht Marek dort hin und traut seinen Augen nicht: ein Stuhlkreis mit sechs „versehrten“ Jugendlichen, geleitet von einem unrasierten Guru mit sanfter Stimme und langen Haaren, erwartet ihn. Mit dieser „Krüppelgruppe“ will Marek nichts zu tun haben. Gäbe es da nicht Janne, eine zickige Schönheit im Rollstuhl, in die Marek sich sofort verliebt, wäre er kein zweites Mal hingegangen.
So bleibt er, und was als ultimative Demütigung beginnt, von seiner Mutter in die falsche Gruppe gelockt worden zu sein, erweist sich bald als große Chance. Durch eine gemeinsame Gruppenreise und den plötzlichen Tod seines Vaters erkennt Marek allmählich, dass er dank der schrägen Gruppen auf dem Weg ist in ein Leben, in dem es vielleicht ein bisschen weniger traurig und schmerzhaft zugehen könnte.
Alina Bronsky erzählt vom Aufbruch aus der Isolation, von der Hoffnung auf Verständnis, von der Sehnsucht, als der erkannt zu werden, der man wirklich ist und damit vor allem, was Erwachsenwerden ausmacht. Sehr komisch, herzzerreißend traurig, niemals weinerlich und immer wieder herrlich böse. Sehr zu empfehlen!
Ulrike Dahl
|
|
Titel verfügbar?
|
Von einer ungleichen Freundschaft
Welcome. - Regie: Philippe Lioret. - 1 DVD, 2010. - 104 Min.
Es ist die Liebe, die den 17-jährigen irakischen Kurden Bilal drei Monate zu Fuß quer durch Europa die 4000 km bis nach Calais treibt. Nur noch 34 km bis zur englischen Küste und der Weg nach London trennen ihn von Mîna, die es mit ihrer Familie nach Großbritannien geschafft hat. Bilal will sie heiraten, koste es, was es wolle, und wenn es sein Leben wäre. In einem Schwimmbad lässt er sich von dem Leistungsschwimmer und Goldmedaillengewinner Simon trainieren, den seine Frau Marion, die er über alles liebt, soeben verlassen hat. Marion setzt sich für Flüchtlinge in Frankreich auf der Durchreise nach Großbritannien ein, und Simon lässt sich anfangs eher widerwillig und schließlich mit vollem Risiko für Bilal ein. Es entsteht eine tiefe Beziehung zwischen den beiden an der Liebe leidenden Männern.
Den Ärmelkanal schwimmend zu durchqueren, ohne der englischen Küstenwache ins Netz zu gehen, ist nahezu ausgeschlossen. Außerdem soll Mîna von ihrem Vater in wenigen Wochen mit einem Cousin verheiratet werden, Bilal hat nicht mehr alle Zeit der Welt. Es geht nicht gut aus für Bilal, für Mîna, für Simon, für die Liebe, und doch ist es Menschenliebe, die diesen anrührenden Film trägt. Das Schicksal der Verzweifelten, der „Illegalen“, die von allen so schnell wie möglich abgeschoben werden sollen, ist in ergreifenden Szenen eingefangen.
Tanja Schleyerbach
|
|
Titel verfügbar?
|
AC/DC und Kassettendecks
Kai Thomas Geiger: Autoreverse. - Theiss Verl., 2012. - 255 S.
Kai Thomas Geiger“ erzählt vom Stuttgart der 80er Jahre und von den Jugendlichen Marc, Jones, Basti und Fred. Die leben in Stuttgart-Vaihingen, das damals noch fast ein Dorf ist. Als sie einmal „aus Versehen“ AC/DC hören, ist es um sie geschehen. Ein Fanclub wird gegründet, das Bedürfnis nach einer eigenen Stereoanlage wird übermachtig, der Weg dorthin führt über die Konfirmation. Schallplatten werden bei den Kultläden Govi und Lerche gekauft, der erste Konzertbesuch ist dank Mofa möglich. Die Emanzipation vom Elternhaus, das Erobern eigener Freiräume im Jugendhaus und in der Tanzschule, all das wird voller Witz und Selbstironie erzählt. „Autoreverse“ handelt von Freundschaft, Loyalität, erster Liebe, der Sehnsucht nach dem Erwachsenwerden, aber auch von Drogenerfahrungen und Tod.
Kai Thomas Geiger ist in Stuttgart aufgewachsen, heute ist er Werbetexter, Blogger, Drehbuchautor und Musiker. In seinem ersten Roman verarbeitete er Jugenderinnerungen.
Vergnügliches Buch mit viel Zeitgeist und Stuttgarter Lokalkolorit.
Andrea Däuwel-Bernd
|
|
Titel verfügbar?
|
Eine dramatische Dreicksbeziehung im Dritten Reich
Ende der Schonzeit. – Regie: Franziska Schlotterer. – 1 DVD, 100 Min.
Es ist das Jahr 1942. Fritz muss sich einiges anhören von seinen Stammtischbrüdern. In zehn Jahren Ehe mit Emma hat er es nicht geschafft, einen Stammhalter für den Schwarzwaldhof zu erzeugen, und das kratzt an seiner Männlichkeit und an seinem Selbstwertgefühl. Penetrant und verletzend rückt den beiden diesbezüglich insbesondere der nazitreue Walter auf die Pelle.
Beim Wildern entdeckt Fritz den flüchtigen Juden Albert, der in den Wäldern den Weg in die Schweiz sucht. Er versteckt ihn auf seinem Hof und lässt ihn dafür arbeiten – im Stall und im Bett seiner Frau, gegen deren Willen, denn sie hat eine tiefe Abscheu gegen Juden. Der erhoffte Nachwuchs stellt sich dennoch nicht ein. Es sind bedrückende Szenen voll unterdrückter und offen ausgelebter Gefühle. Fritz schaut ungläubig zu, Fritz sitzt voller Eifersucht mit seinem Hund vor der Türe und lauscht, Fritz weint im Wald. Emma entdeckt plötzlich die Liebe und ihre Macht – und eines Tages ist sie tatsächlich schwanger. Doch Fritz soll vorerst nichts davon wissen, würde es ihr doch das neu entdeckte Vergnügen mit Albert nehmen. Als Fritz die Schwangerschaft nicht mehr zu verheimlichen ist, fühlt dieser sich hintergangen, und so betrinkt sich der Gedemütigte hemmungslos im Wirtshaus. Albert hat seinen Job erledigt, er kann nun den Nazis ausgeliefert werden. Walter kommt dieser Aufgabe mit großer Beflissenheit und innerer Genugtuung nach: Alberts Weg führt nach Auschwitz.
Nach seiner Entlassung besucht Albert ein letztes Mal den Schwarzwaldhof: er will sein Kind sehen. Doch das existiert nicht. Emma und Fritz verstricken sich beide in Lügen, und der abgemagerte und gebrochene Albert zeigt zum ersten Mal wirklich Wut, als Emma erneut um seine Zuwendung im Bett buhlt. Brutal ist die Bettszene, und von der einstigen zarten Liebesbande ist nichts mehr zu spüren. Albert rächt sich nur noch für den Verrat, die Demütigungen und sein zerstörtes Leben. Das ist Brunos Zeugungsstunde.
In Rückblenden erzählt der Film von Alberts – inzwischen Avis – Sohn, der seinen leiblichen Vater in einem Kibuzz in Israel aufsucht, um ihm einen Brief seiner Mutter zu übergeben. Avi, der sich ein Familienleben aufgebaut hat, will von diesem Teil seiner Vergangenheit nichts mehr wissen, doch Bruno lässt sich nicht abfertigen. Avi berichtet seinem Sohn aus seinem früheren Leben, und Emmas Brief klärt letzte Verletzungen und ihre damalige Rolle auf.
Franziska Schlotterer hat einen kammerspielartigen Film nicht nur über ein Tabuthema in der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte gedreht. Sie nähert sich den Menschen, ihren Gefühlen, ihren Hoffnungen und ihrer Verzweiflung. Ihre Themen sind die Judenverfolgung und der gesellschaftliche Hass, die permanente und immer offenbarer werdende Bedrohung durch eine sich immer tiefer ins Private schleichende Macht, Fritz‘ Impotenz und die Belastung für die Ehe, nicht zuletzt durch den Druck von außen, die Sprachlosigkeit in der langjährigen Ehe, das Einbrechen von Albert in dieses eingeschliffene Arrangement, Alberts Ängste und Demutsgesten, Emmas plötzliche Entdeckung ihrer überschäumenden Gefühle und Sexualität und Fritz‘ Hilflosigkeit, Wut und Scham. Großes Kino.
Tanja Schleyerbach
|
|