Empfehlungen August/September 2015
Innere Stimmen aus Burma
Sendker, Jan-Philipp: Herzenstimmen. - München, 2012.- 293 S. Es wird eine Geschichte in der Geschichte erzählt, es ist die Schilderung einer starken Mutterliebe zu ihren beiden Söhnen und einer großen Liebe und deren Verlust. Beate Reichmann |
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Dreimal Nahost
Shoham, Liad: Stadt der Verlorenen. Roman. - DuMont, 2015. - 411 S. Ein spannender Krimi eines israelischen Autors, der die Welt der Flüchtlinge und illegalen Einwanderer in Israel zum Thema hat. In Tel Aviv wird eine Frau ermordet. Sie war Mitarbeiterin einer NGO, die sich um afrikanische Flüchtlinge kümmert. Kurz darauf scheint der Fall gelöst – der Eritreer Gabriel meldet sich bei der Polizei und gesteht den Mord. Doch die Ermittlerin Anat Nachmias hat Zweifel an seiner Schuld. Sie taucht in die Schattenwelt der Flüchtlinge und illegalen Einwanderer Israels ein und muss sich dem ungeheuren Elend dieser Menschen stellen. Doch die Spuren führen noch weiter – bis in die Reihen von Polizei und Justiz … Liad Shoham ist Schriftsteller und praktizierender Anwalt. Er ist einer der führenden Thriller-Autoren Israels, alle seine Bücher wurden zu Bestsellern. Er lebt in Tel Aviv. Spannender Lesestoff mit aktuellen politischen und gesellschaftlichen Bezügen.
Harrer, Gudrun: Nahöstlicher Irrgarten. - K & S, 2014. - 191 S. Ein Sachbuch mit Analysen für alle, die sich fundiert mit aktuellen politischen iund gesellschaftlichen Themen auseinandersetzen wollen. Für Europäer sind die dramatischen Entwicklungen in der arabischen Welt nicht leicht zu verstehen. Wieso ist aus dem Aufstand in Syrien ein blutiger Religionskrieg geworden? Was sind die Ursachen der Gewaltexplosionen im Irak? Welche Pläne haben die Djihadisten, die als Islamischer Staat die Herrschaft im arabischen Raum anstreben? Auf solche Fragen geht Gudrun Harrer ein. Die österreichische Nahostexpertin und Journalistin liefert fundierte Informationen, zeigt Hintergründe auf und beleuchtet historische Entwicklungen. Das Buch schlägt einen weiten Bogen durch die Region: von Syrien, über Irak und Iran, über Palästina und Ägypten bis hin zu den Staaten am Arabischen Golf. Die Zeichen stehen auf Sturm: Wer dieses Buch gelesen hat, weiß, warum. Die Befriedung des Irak ist nicht gelungen. Die Extremisten der IS sind dabei, einen neuen Terrorstaat zu errichten, mit weitreichenden Folgen für die umliegenden Länder. Sunniten und Schiiten, seit Jahrhunderten verfeindet, tragen ihre religiösen Auseinandersetzungen in die Politik, nicht nur im Irak. In Syrien, wo eine Familie aus der religiösen Minderheit der Alawiten herrscht, eskalierten die Konflikte zum blutigen Krieg. Im fundamentalistisch-islamischen Saudi-Arabien scheint ein Hauch eines Reformwillens zu wehen. Ägypten ist mit der Wahl Abdulfattah al-Sisis wieder zur Herrschaft des Militärs zurückgekehrt, und die Hoffnungen des arabischen Frühlings wurden enttäuscht. Die Ungewissheit über das iranische Atomprogramm hängt wie ein Damoklesschwert über dem fragilen Gleichgewicht der Kräfte im Nahen und Mittleren Osten.
Bornstein, Gabriel: 45 Minuten bis Ramallah. - Assoziation A, 2013. - 192 S. DVD oder Buch!!! Mit viel schwarzem Humor erzählt der israelische Drehbuchschreiber und Schriftsteller die Geschichte der beiden ungleichen Brüder Rafik und Jamal, die die Leiche ihres verstorbenen Vaters von Ost-Jerusalem auf palästinensisches Territorium nach Ramallah bringen müssen. Es sind zwar nur 25 Kilometer, aber da kann so einiges passieren. Insbesondere wenn man Israeli arabischer Herkunft ist. Es geht so ziemlich alles schief, was schief gehen kann, wenn man mit einer Leiche unterwegs ist. Wer die Grenze überwinden will, landet schnell mal im Gefängnis, bei einer palästinensischen Terrorgruppe und bei der russischen Mafia. In „45 Minuten bis Ramallah“ nimmt Gabriel Bornstein auf unverkrampfte Weise den Nahostkonflikt und die Vorurteile zwischen Palästinensern und Israelis aus Korn. Ein leicht zu lesender Roman für Freunde des schwarzen Humors. Auch als Spielfilm empfehlenswert. Andrea Däuwel-Bernd |
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Bilder, die anrühren, erschüttern, faszinieren
Mit minimalistischen filmischen Mitteln fängt Wenders die Persönlichkeit Salgados ein wie dieser seine schwarz-weiß-Fotografien mit seinen Kameras: 50.000 Goldschürfer in einer Mine Brasiliens, bis auf die Knochen Verhungerte in der Sahelzone, Feuerwehrmänner, die die brennenden Ölfelder Kuwaits zu löschen versuchen, Flüchtende in den Elendsgebieten der Erde, Sterbende und Massakrierte des Völkermordes in Ruanda, die ihm die letzte Kraft rauben, weiterzumachen. Er hat die Trostlosigkeit, die Hoffnungslosigkeit und die Verzweiflung fotografisch hautnah eingefangen wie kein Zweiter. Nach mehr als drei Jahrzehnten Sozialfotografie ist seine Kraft für weitere Zeugnisse der menschlichen Brutalität aufgebraucht, und er wendet sich der Natur zu. GENESIS entsteht, eine Liebeserklärung an den Planeten, sein neuestes Projekt und das Ergebnis von acht Jahren intensiver Recherchetätigkeit und 30 Reisen durch alle Kontinente mit zahlreichen Transportmitteln: in Propellermaschinen, zu Fuß, mit dem Schiff, im Kanu, auf Eselskarren und im Fesselballon fängt er Wüsten, Urwälder und Meere ein, unberührte, aber auch bedrohte Landschaften, die archaische Vulkanlandschaft der Galapagosinseln, die Seelöwen, Kormorane, Pinguine und Wale in der Antarktis und im Südatlantik, die Alligatoren und Jaguare des brasilianischen Urwalds und das Großwild Afrikas. Er trifft das isoliert lebende Volk der Zo’é im Dschungel Brasiliens, die Korowai in West-Papua, das Nomadenvolk der Dinka im Sudan, die Nenzen mit ihren Rentierherden am Polarkreis und die Bewohner der Mentawaiinseln westlich von Sumatra. Salgado führt uns zu den Eisbergen der Antarktis, den Vulkanen Zentralafrikas und der Kamtschatka-Halbinsel, zu den Gletschern Alaskas, an die Flussläufe des Negro und Juruá im Amazonasgebiet und in die Schluchten des Grand Canyon. „Rund 46 % des Planeten sind noch immer in dem Zustand, in dem er sich bei seiner Entstehung befunden hat. Wir müssen das Bestehende bewahren.“ Für die Erde ist er hoffnungsvoll, für die Menschheit sieht er keine Zukunft. Salgado kommt selbst in der Filmbiografie ausgiebig zu Wort. Mit Lélia gründet Salgado in seinem brasilianischen Heimatort das Instituto Terra und pflanzt über zwei Millionen Bäume in der abgeholzten Steppenlandschaft seiner Kindheit. Das blühende Leben, der Regenwald, kehrt binnen weniger Jahre zurück, ein hoffnungsvolles Vermächtnis zweier großer Menschen für Tiere, Pflanzen, Erde und - die Menschen. Tanja Schleyerbach |
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HipHop und satter Bläsersound
Moop Mama: Das rote Album. - Millaphon 2013 Blasmusik einmal anders – dafür steht sie „urban brass“-Band Moop Mama. Die 10-köpfige Brassband aus München verbindet in ihrer Musik HipHop mit sattem Bläsersound. Das Ergebnis sind 13 recht unterschiedliche Musiknummern, die durch tiefgründige Texte, fette Beats und einen vollen Bläsersound bestechen – und Lust zum Tanzen machen. Inspiration fand die Band auf ihren Tourneen. Sie wollen mit ihrem neuen Album eine Art Geschichte über die Orte, die sie inspirierten, erzählen, von Einsamkeit und Gemeinsamkeit und von den positiven und negativen Seiten der Gesellschaft. Das ist ihnen eindrucksvoll gelungen. Unbedingt anhören! Barbar Münz |
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Ein Spaziergang von Lastern zu Tugenden
"Die Menschen verlieren zuerst ihre Illusionen, dann ihre Zähne und ganz zuletzt ihre Laster." Hans Moser Dick, Andreas: Die innere Mitte finden. Lob der Tugend. - Orell Füssli, 2015. - 288 S. Andreas Dick nimmt uns mit auf einen Spaziergang durch die Tugenden und Laster der Menschen und singt ein großes Loblied auf erstere. Der promovierte Schweizer Philosoph, Psychotherapeut und Dozent an Fachhochschulen sieht sich in seinen Ausführungen besonders dem Dominikanermönch und einflussreichen Theologen und Philosophen des Mittelalters Thomas von Aquin (Summa theologica) und dessen griechischen Vorbild Aristoteles (Nikomachische Ethik), auf den sich schon sein Lehrer Albertus Magnus berief, verpflichtet. Aber auch Seneca ("Zorn bewirkt nichts, was nicht auch ohne Zorn erreichbar wäre"), Euragios Pontikos, Meister Eckhart, Kant, Fromm und viele weitere Philosophen und Religionslehrer finden Eingang in Dicks Ausführungen, wenn es um die neun Tugenden Weisheit, Wahrhaftigkeit, Demut, Dankbarkeit, Sanftmut, Fleiß, Mut, Großzügigkeit und Ausgeglichenheit geht. Beleuchtet werden auch ihre Gegenspieler und deren Spielarten, denen wir so leicht und immer wieder erliegen: Unvernunft, Falschheit, Hochmut, Neid, Jähzorn, Trübsinn, Ängstlichkeit, Geiz und Genusssucht - und welchen bleibenden Schaden sie anrichten können, bei uns selbst und bei anderen. Er beschreibt unter Einbeziehung auch psychotherapeutischer Erfahrungen Auswege und Metamorphosen aus diesen "Fesseln der Leidenschaft". Ein wenig befremdlich: als Psychotherapeut vermischt er bisweilen Krankheiten und "Laster". Dennoch: es ist ein Spaziergang zum tiefen Lebenssinn und zur dauerhaft innigen Lebensfreude, denn ein tugendhaft-integres Leben ist - nicht zwingend abhängig von äußeren Umständen - alles andere als leibfeindlich, langweilig oder sauertöpfisch, im Gegenteil. Befreit, heiter und seelisch ausgeglichen ist das Leben, das Dick in Aussicht stellt. Es ist eine lebenslange Reise, in der die Liebe die alles durchdringende Kraft ist, die immer mehr zum Maßstab allen Fühlens, Denkens, Redens und Handelns wird. Tanja Schleyerbach |
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Schnörkellos und klar
Tchaikovsky 1, Prokofiev 2: Klavierkonzerte. Tschaikowskis Werk wird das zweite Klavierkonzert von Sergei S. Prokofiew an die Seite gestellt, ebenfalls in seiner Zweitfassung. Diese war nötig geworden, da die ursprüngliche Partitur während der Oktoberrevolution 1918 verloren ging. Prokofiew setzte sich während der Arbeit an diesem Klavierkonzert intensiv mit dem sinfonischen Schaffen Tschaikowskis und Rimski-Korsakows auseinander und fand so zu einem ganz eigenen, tiefen Ausdruck. Das Konzert eröffnet im Gegensatz zu Tschaikowskis Konzert eine ganz andere Klangwelt, die von den Musikern aber ebenso präzise erarbeitet und eingespielt worden ist, besonders in Hinblick auf die akzentuierte Rhythmik. Auch hier stehen Klarheit und Schnörkellosigkeit im Vordergrund. Die CD lädt dazu ein, neue Facetten an altbekannten Werken zu entdecken. Unbedingt lohnt sich hier auch ein Blick ins Beiheft, in dem Kirill Gerstein selbst detailliert und gut recherchiert die historische Faktenlage erläutert.
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